1 / Die Ankunft Sri Krishnas
Es gab eine Zeit, da war die Welt mit übermäßig angewachsenen
Streitmächten verschiedener Könige überladen, die in Wirklichkeit Dämonen waren,
sich aber als Mitglieder des königlichen Standes ausgaben. Da zu jener Zeit die
ganze Welt gestört war, begab sich die herrschende Gottheit der Erde, Bhumi, zu
Brahma, um ihm von der bedrohlichen Situation zu berichten, in die sie aufgrund
der dämonischen Könige geraten war. Bhumi nahm die Gestalt einer Kuh an und erschien
mit Tränen in den Augen vor Brahma. Sie war zutiefst bekümmert und weinte, um
sein Mitleid zu erwecken, und sie erzählte ihm von den fürchterlichen Zuständen
auf der Erde. Als Brahma ihre Schilderung hörte, war er sehr betroffen, und so
beschloß er, sich sofort zum Milchozean zu begeben, wo Sri Visnu residiert. Brahma
wurde von allen Halbgöttern begleitet, allen voran Siva, und Bhumi folgte ihnen.
Als sie ans Ufer des Milchozeans kamen, begann Brahma Gebete zu sprechen, um Sri
Visnu günstig zu stimmen, welcher schon vor langer Zeit einmal den Erdplaneten
vor dem Untergang gerettet hatte, indem Er die transzendentale Gestalt eines Ebers
annahm.
In den vedischen mantras gibt es ein besonderes Gebet, Purusa-sukta
genannt, das im allgemeinen die Halbgötter chanten, um Visnu, der Höchsten
Persönlichkeit Gottes, ihre Ehrerbietungen darzubringen. Man muß in diesem Zusammenhang
verstehen, daß sich die herrschende Gottheit jedes Planeten an den höchsten Halbgott
des Universums, Brahma, wenden kann, wenn Störungen auf dem jeweiligen Planeten
auftreten. Brahma seinerseits kann sich dem Höchsten Herrn, Visnu, nähern, jedoch
nicht direkt, sondern vom Ufer des Milchozeans aus. Es gibt im Universum einen
Planeten namens Svetadvipa, und auf diesem Planeten befindet sich ein Ozean aus
Milch. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß es auf anderen Planeten verschiedene
Arten von Ozeanen gibt, ähnlich wie auf unserem Planeten einen Ozean aus Salzwasser.
So gibt es die verschiedensten Ozeane, wie zum Beispiel einen Ozean aus Milch,
einen Ozean aus Öl, einen Ozean aus Alkohol und viele andere. Purusa-sukta
ist das Standardgebet, das die Halbgötter sprechen, um die Höchste Persönlichkeit
Gottes, Ksirodakasayi Visnu, günstig zu stimmen. Weil Er auf dem Milchozean ruht,
wird Er Ksirodakasayi Visnu genannt. Er ist der Herr, die Höchste Persönlichkeit
Gottes, von dem alle Inkarnationen in diesem Universum ausgehen.
Die Halbgötter brachten also das Purusa-sukta-Gebet dar, doch sie vernahmen
keine Antwort. Daraufhin versank Brahma persönlich in Meditation, und so empfing
er eine Botschaft von Visnu, die er dann an die Halbgötter weitergab. Das ist
das System, vedisches Wissen zu empfangen. Das vedische Wissen wurde zuerst Brahma
mitgeteilt, dem es die Höchste Persönlichkeit Gottes durch das Herz offenbarte.
Dies wird auch am Anfang des Srimad-Bhagavatam erwähnt: tene brahma
hrda das transzendentale Wissen der Veden wurde Brahma in das
Herz eingegeben. Ebenso konnte auch in diesem Fall nur Brahma die Botschaft verstehen,
die von Visnu übermittelt wurde, und er gab sie an die Halbgötter weiter, damit
diese sofort dementsprechend handeln konnten. Die Botschaft lautete: Der Herr,
die Höchste Persönlichkeit Gottes, wird sehr bald zusammen mit Seinen unvergleichlich
mächtigen Energien auf der Erde erscheinen, und solange Er auf dem Erdplaneten
bleibt, um Seine Mission, die Vernichtung der Dämonen und die Errettung der Geweihten,
zu erfüllen, sollen auch die Halbgötter dort sein, um Ihn zu unterstützen. Sie
alle sollen sich sofort darauf vorbereiten, in der Yadu-Dynastie geboren zu werden,
in der auch der Herr sehr bald erscheinen werde.
Die Höchste Persönlichkeit Gottes, Krishna, erschien als der Sohn Vasudevas.
Bevor Er erschien, kamen alle Halbgötter mit ihren Frauen in verschiedenen frommen
Familien auf die Erde, um den Herrn bei der Ausführung Seiner Mission zu unterstützen.
Das genaue Wort, das hier gebraucht wird, lautet tat-priyartham; es bedeutet,
daß die Halbgötter auf der Erde erschienen, um den Herrn zu erfreuen. Mit anderen
Worten, jedes Lebewesen, das sein Leben nur dazu benutzt, den Höchsten zufriedenzustellen,
ist ein Halbgott. Die Halbgötter wurden außerdem darüber informiert, daß die vollständige
Erweiterung Krishnas, Ananta, der die Planeten des Universums mit Seinen Millionen
von Köpfen in der Schwebe hält, ebenfalls vor der Ankunft Sri Krishnas auf der Erde
erscheinen werde. Auch die äußere Energie Visnus (maya), die alle bedingten
Seelen bezaubert, werde erscheinen, um Krishna, dem Höchsten Herrn, behilflich zu
sein.
Nachdem Brahma allen Halbgöttern, auch Bhumi, diese Botschaft mitgeteilt und
sie mit wohlmeinenden Worten beruhigt hatte, kehrte er, der Vater aller prajapatis
(Vorväter der Bevölkerung im Universum), zu seinem Residenzort auf dem höchsten
materiellen Planeten zurück, der Brahmaloka genannt wird.
Der Führer der Yadu-Dynastie, König Surasena, regierte über das Land Mathura
(den Distrikt Mathura) sowie über den Distrikt Surasena. Unter der Herrschaft
Surasenas wurde Mathura die Hauptstadt aller Yadu-Könige. Mathura wurde auch aus
dem Grund zur Hauptstadt gewählt, weil die Yadus eine sehr fromme Familie waren
und wußten, daß Mathura der Ort ist, an dem Sri Krishna, genau wie in Dvaraka, ewig
lebt.
Es war am Tag, an dem Vasudeva, der Sohn Surasenas, Devaki heiratete, als er,
Vasudeva, nach der Beendigung der Hochzeitsfeierlichkeiten zusammen mit seiner
jungen Braut auf eine Kutsche stieg, um nach Hause zu fahren. Der Vater Devakis,
Devaka, der seine Tochter sehr liebte, hatte eine beträchtliche Mitgift beigesteuert,
worunter sich unter anderem Hunderte von Kutschen befanden, die vollkommen mit
Gold ausgestattet waren. Um seine Schwester Devaki zu erfreuen, hatte sich Kamsa,
der Sohn Ugrasenas, anerboten, die Zügel von Vasudevas Wagen selbst zu lenken
und das Brautpaar nach Hause zu fahren. Wenn ein Mädchen heiratet, bringt der
Bruder nach vedischem Brauch die Schwester und den Schwager zu ihrem neuen Heim.
Weil das frisch verheiratete Mädchen unter der Trennung von der Familie ihres
Vaters leiden könnte, begleitet sie ihr Bruder bis zum Hause des Schwiegervaters.
Die von Devaka beigesteuerte Mitgift bestand aus insgesamt vierhundert mit goldenen
Girlanden geschmückten Elefanten, fünfzehntausend geschmückten Pferden und eintausendachthundert
Kutschen. Außerdem hatte er zweihundert wunderschöne Mädchen ausgesucht, die seine
Tochter begleiten sollten. Das ksatriya-System der Heirat, das in Indien
noch heute Gültigkeit hat, besagt, daß bei der Heirat eines ksatriya zusammen
mit der Braut einige Dutzend der Freundinnen der Braut zum Hause des Königs gehen.
Die Begleiterinnen der Königin werden zwar Dienerinnen genannt, doch in Wirklichkeit
sind sie ihre Freundinnen. Dieses System ist seit unvordenklichen Zeiten Brauch
und läßt sich mindestens bis zur Zeit vor der Ankunft Sri Krishnas vor fünftausend
Jahren zurückverfolgen. Vasudeva brachte also zusammen mit seiner Frau noch zweihundert
schöne Mädchen mit nach Hause.
Während Braut und Bräutigam in der Kutsche dahinfuhren, wurden die verschiedensten
Instrumente gespielt, um das glückverheißende Ereignis zu begleiten. Es ertönten
Muschelhörner, Fanfaren, Trommeln und Pauken, die sich zu einem wohlklingenden
Konzert vereinten. Die Hochzeitsgesellschaft war in freudiger Stimmung, und Kamsa
lenkte den Wagen, als plötzlich eine geheimnisvolle Stimme vom Himmel ertönte,
die besonders an Kamsa gerichtet war: "Kamsa, du Narr, du lenkst die Kutsche
deiner Schwester und deines Schwagers und weißt nicht, daß das achte Kind deiner
Schwester dich töten wird!"
Kamsa,
der Sohn Ugrasenas, gehörte zur Bhoja-Dynastie, und es wird gesagt, daß er der
dämonischste aller Könige der Bhoja-Dynastie war. Sowie er die Prophezeiung vom
Himmel hörte, packte er Devaki bei den Haaren und zückte sein Schwert, um sie
töten. Vasudeva war entsetzt, als er Kamsas Verhalten sah, doch um den grausamen,
schamlosen Schwager zu besänftigen, richtete er mit großer Klarheit und Ruhe die
folgenden Worte an ihn: "Mein lieber Kamsa, mein Schwager, du bist der berühmteste
König der Bhoja-Dynastie, und jeder weiß, daß du ein tapferer Krieger und ein
großer König bist. Wie kommt es, daß du dermaßen in Wut gerätst, daß du sogar
bereit bist, eine Frau, die noch dazu deine Schwester ist, an ihrem Hochzeitstag
zu töten? Warum hast du so große Angst vor dem Tod? Dein Tod wurde schon bei deiner
Geburt mit dir geboren. Seit dem Tag, an dem du geboren wurdest, begannst du zu
sterben. Du bist jetzt vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt; das bedeutet, daß
du schon fünfundzwanzig Jahre lang gestorben bist. In jedem Moment, in jeder Sekunde
stirbst du warum solltest du also Angst vor dem Tode haben? Der Tod ist
unvermeidlich. Du magst heute oder in hundert Jahren sterben dem Tod kannst
du nicht entrinnen. Warum solltest du dich also fürchten? In Wirklichkeit bedeutet
der Tod lediglich die Vernichtung des gegenwärtigen Körpers. Sobald der Körper
funktionsunfähig wird und sich mit den fünf Elementen der materiellen Natur vereinigt,
nimmt das Lebewesen, das sich im Körper befunden hat, je nach seinen früheren
Taten einen anderen Körper an. Es ist wie mit einem Mann, der auf der Straße geht:
Er setzt einen Fuß vor, und wenn er sicher ist, daß der Fuß auf festem Grund steht,
hebt er den anderen Fuß. In ähnlicher Weise wandert die Seele von einem Körper
zum anderen. Oder schau dir eine Raupe an, wenn sie vorsichtig von einem Zweig
zum anderen kriecht. Ebenso wechselt das Lebewesen seinen Körper, sobald höhere
Autoritäten über den nächsten Körper entscheiden. Solange ein Lebewesen in der
materiellen Welt gefangen ist, muß es immer wieder, Geburt für Geburt, einen materiellen
Körper annehmen. Der nächste Körper, den man erhält, wird durch die Gesetze der
Natur entsprechend den Handlungen und den daraus resultierenden Reaktionen des
vorherigen Lebens bestimmt.
Unser gegenwärtiger Körper gleicht genau den Körpern, die wir in unseren Träumen
annehmen. Während wir schlafen, schaffen wir im Traum mit dem Geist die verschiedensten
Körper. In unserer Erinnerung befinden sich viele Bilder von Dingen, die wir schon
gesehen haben, wie zum Beispiel Gold und einen Berg, und so schaffen wir im Traum
durch die Verbindung dieser beiden Bilder einen goldenen Berg. Manchmal träumen
wir auch, fliegen zu können, und so vergessen wir unseren eigentlichen Körper
völlig. Ebenso wechseln wir unseren materiellen Körper. Wenn du einen neuen Körper
annimmst, vergißt du den alten. Während eines Traumes können wir so viele verschiedene
Körper schaffen, doch wenn wir erwachen, vergessen wir sie alle wieder. Und in
Wirklichkeit sind auch unsere grobstofflichen Körper nichts anderes als Schöpfungen
unseres Geistes nur können wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr
an unsere vergangenen Körper erinnern.
Der Geist ist von Natur aus unstet. Manchmal nimmt er etwas an, und dann lehnt
er es kurze Zeit später wieder ab. Annehmen und Ablehnen sind die Tätigkeiten
des Geistes in Verbindung mit den fünf Objekten der Sinnenbefriedigung: Form,
Geschmack, Geruch, Klang und Berührung. Wenn der ruhelose, ständig spekulierende
Geist mit den Sinnesobjekten in Berührung kommt, entwickelt das Lebewesen nach
und nach den Wunsch nach einem bestimmten Körper, den es dann bekommt. Auf diese
Weise ist unser Körper ein Geschenk der Gesetze der materiellen Natur. Das Lebewesen
kommt in die materielle Welt und nimmt einen Körper an, um dann entsprechend der
Beschaffenheit des Körpers zu genießen und zu leiden. Ohne Körper können wir,
trotz unserer mentalen Neigungen, die wir aus dem vorherigen Leben geerbt haben,
weder genießen noch leiden. Der Körper, den man annimmt, wird von dem Bewußtsein
bestimmt, in dem man sich zur Stunde des Todes befindet.
Leuchtende Planeten wie die Sonne, der Mond und die Sterne spiegeln sich auf
Flüssigkeiten, wie zum Beispiel Wasser, Öl oder Butterfett, und ihr Spiegelbild
bewegt sich zusammen mit den Flüssigkeiten. Der Mond spiegelt sich auf der Oberfläche
eines Sees, und wenn sich das Wasser bewegt, scheint sich auch der Mond zu bewegen,
obwohl er sich in Wirklichkeit nicht bewegt. In ähnlicher Weise nimmt das Lebewesen
durch die Tätigkeit seines Geistes verschiedene Arten von Körpern an, obwohl es
in Wirklichkeit mit solchen Körpern nichts zu tun hat. Doch weil sich das Lebewesen
in Illusion befindet, bezaubert durch den Einfluß mayas, glaubt es, zu
einem bestimmten Körper zu gehören. Auf diese Weise bleibt die Seele gefangen
in ihrem bedingten Dasein. Wenn sich ein Lebewesen beispielsweise in einem menschlichen
Körper befindet, glaubt es, es gehöre zur menschlichen Gesellschaft, zu einem
bestimmten Land und zu einem bestimmten Ort. Es identifiziert sich mit all diesen
Dingen und bereitet sich somit auf einen weiteren Körper vor, den es im Grunde
nicht benötigt. Solche Neigungen und Vorstellungen sind die Ursachen der verschiedenen
Körper. Der illusionierende Einfluß der materiellen Natur ist so stark, daß das
Lebewesen in jedem Körper, den es erhält, zufrieden ist und sich freudig mit ihm
identifiziert. Daher bitte ich dich laß dich nicht vom Diktat deines Geistes
und deines Körpers überwältigen!"
Mit diesen Worten bat Vasudeva Kamsa, auf seine neuvermählte Schwester nicht
neidisch zu sein. Man sollte auf niemanden neidisch sein, denn Neid führt dazu,
daß man sowohl im gegenwärtigen als auch im nächsten Leben, wenn man vor Yamaraja
(Halbgott der Bestrafung nach dem Tod) steht, von großen Ängsten gequält wird.
Vasudeva wandte sich im Namen Devakis an Kamsa und hielt ihm vor Augen, daß sie
seine jüngere Schwester sei. Er erinnerte ihn auch daran, daß heute ein besonderer
Tag sei. Eine jüngere Schwester oder ein jüngerer Bruder sollten wie die eigenen
Kinder beschützt werden. "Überdies wäre eine solche Tat sehr riskant",
warnte Vasudeva seinen Schwager, "denn wenn du sie tötest, wirst du deinen
guten Ruf verlieren."
Vasudeva versuchte, Kamsa sowohl durch gute Worte als auch durch philosophische
Argumente zu beschwichtigen, doch Kamsa konnte nicht besänftigt werden, da er
aufgrund seiner Gemeinschaft mit Dämonen von dämonischem Wesen war, obwohl er
aus einer sehr hohen königlichen Familie stammte. Ein Dämon kümmert sich niemals
um gute Ratschläge. Es ist wie mit einem geborenen Dieb: Man kann ihm zwar moralische
Anweisungen erteilen, doch es wird nichts nützen. Ebenso wird jemand, der von
Natur aus dämonisch und atheistisch ist, schwerlich eine gute Belehrung annehmen,
ganz gleich, wie begründet sie auch sein mag. Darin unterscheidet sich ein Halbgott
von einem Dämon. Diejenigen, die gute Ratschläge bereitwillig annehmen und versuchen,
danach zu handeln, werden Halbgötter genannt, wohingegen diejenigen, die unfähig
sind, solche Belehrungen anzunehmen, als Dämonen bezeichnet werden.
Nachdem
der Versuch, Kamsa zu beruhigen, gescheitert war, fragte sich Vasudeva, wie er
seine Frau Devaki beschützen könne. Wenn Gefahr droht, sollte ein intelligenter
Mensch versuchen, der Gefahr so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Wenn es
dann trotz aller intelligenten Bemühungen nicht gelingt, die Gefahr abzuwenden,
trifft einen keine Schuld. Man sollte versuchen, seine Pflichten nach bestem Vermögen
auszuführen, und wenn es einem trotzdem nicht gelingt, ist man nicht schuldig.
Vasudeva dachte bei sich: "Erst einmal will ich das Leben Devakis retten,
und später, wenn einmal die Kinder da sind, werde ich sehen, wie ich auch sie
retten kann." Er dachte weiter: "Wenn in der Zukunft ein Kind geboren
wird, das imstande ist, Kamsa zu töten, so wie Kamsa glaubt, dann werden sowohl
Devaki als auch das Kind in Sicherheit sein, denn die Vorsehung waltet auf unbegreifliche
Weise. Doch jetzt will ich vorerst einmal versuchen, das Leben Devakis zu retten."
Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, auf welche Weise ein Lebewesen mit einem
bestimmten Körper in Kontakt kommt, ebenso wie es keine Gewißheit gibt, auf welche
Weise das lodernde Feuer bei einem Waldbrand mit einem bestimmten Baum in Berührung
kommt. Es ist beobachtet worden, daß die Funken durch den Wind manchmal einen
Baum überspringen und einen anderen erfassen. Ebenso mag ein Mensch sehr aufmerksam
und mit peinlichster Genauigkeit seinen Pflichten nachkommen, doch es ist für
ihn immer noch sehr schwierig, mit Bestimmtheit vorauszusagen, welche Art von
Körper er im nächsten Leben erhalten wird. Maharaja Bharata zum Beispiel erfüllte
auf vorbildliche Weise die Pflichten, die zur Selbstverwirklichung vorgeschrieben
sind, doch zufällig entwickelte er eine vorübergehende Zuneigung zu einem Reh
und mußte daher in seinem nächsten Leben den Körper eines Rehs annehmen.
Nachdem Vasudeva überlegt hatte, wie er seine Frau retten könne, wandte er
sich mit großer Ehrfurcht an Kamsa, obwohl dieser der sündigste aller Sünder war.
Manchmal ist es notwendig, daß ein so vortrefflicher Mensch wie Vasudeva einer
niederträchtigen Person vom Schlage Kamsas schmeicheln muß. Das kann bei allen
diplomatischen Verhandlungen vorkommen. Vasudeva gab sich also nach außen hin
unbeschwert, obwohl er tief bekümmert war. Weil der gewissenlose Kamsa einen solch
grausamen Charakter besaß, mußte sich Vasudeva mit folgenden Worten an ihn wenden:
"Mein lieber Schwager, bitte bedenke, daß dir von deiner Schwester keinerlei
Gefahr droht. Du fürchtest dich, weil du eine orakelhafte Stimme vom Himmel gehört
hast; aber die Gefahr soll von den Söhnen deiner Schwester kommen, die doch noch
gar nicht geboren sind. Und wer weiß, ob sie überhaupt jemals geboren werden?
Wenn du all dies berücksichtigst, wirst du zugeben müssen, daß du zur Zeit in
Sicherheit bist. Von deiner Schwester hast du ohnehin nichts zu befürchten. Und
falls sie tatsächlich männlichen Kindern das Leben schenken sollte, so verspreche
ich dir, jedes einzelne vor dich zu bringen, so daß du tun kannst, was du für
nötig hältst."
Kamsa kannte den Wert von Vasudevas Ehrenwort, und da er außerdem durch dessen
Argumente überzeugt worden war, beschloß er, seine Schwester vorerst nicht zu
töten. Vasudeva war sehr erleichtert, und er lobte Kamsas Entscheidung. Auf diese
Weise kehrte er nach Hause zurück.
Im Laufe der Zeit wurden Vasudeva und Devaki acht männliche Kinder und eine
Tochter geboren. Vasudeva hielt sein Ehrenwort und erschien gleich nach der Geburt
seines ersten Sohnes vor Kamsa. Vasudeva war für seine Tugendhaftigkeit und sein
Ehrenwort weithin berühmt, und er wollte diesem Ruhm gerecht werden. Während es
für Vasudeva jedoch sehr schmerzlich war, das Kind wegzugeben, war es für Kamsa
eine große Freude, daß Vasudeva mit seinem Kind zu ihm gekommen war; doch als
er Vasudeva so unglücklich sah, bekam er ein wenig Mitleid. Diese Szene ist beispielhaft:
Für eine große Seele wie Vasudeva gibt es nichts, was zu schmerzhaft wäre, als
daß es ihn von der Erfüllung seiner Pflicht abhalten könnte. Ein weiser Mensch
wie Vasudeva führt seine Pflicht ohne Zögern aus. Auf der anderen Seite schreckt
ein Dämon wie Kamsa vor keiner noch so abscheulichen Tat zurück. Es wird daher
gesagt, daß es einem Heiligen nichts ausmacht, alle Arten von Unbequemlichkeiten
auf sich zu nehmen; daß ein Gelehrter seine Pflicht erfüllen kann, ohne etwas
dafür zu erwarten; daß ein verabscheuungswürdiger Mensch wie Kamsa zu jeder Sünde
fähig ist und daß ein Gottgeweihter bereit ist, alles zu opfern, um die Höchste
Persönlichkeit Gottes zu erfreuen.
Kamsa war mit Vasudeva zufrieden, und er war sehr überrascht, daß dieser sein
Versprechen gehalten hatte. Mitleidig und erfreut zugleich sagte er: "Mein
lieber Vasudeva, du brauchst mir dieses Kind nicht zu übergeben, denn es bedeutet
keine Gefahr für mich. Es wurde mir gesagt, daß mich erst das achte Kind Devakis
töten wird. Warum sollte ich dir also dieses Kind unnötig wegnehmen? Du kannst
es behalten."
Als Vasudeva mit seinem erstgeborenen Kind nach Hause zurückkehrte, war er
zwar erfreut, aber er konnte Kamsas Worten keinen Glauben schenken, denn er wußte,
daß dieser unberechenbar war. Ein atheistischer Mensch kann nicht zu seinem Ehrenwort
stehen. Wer seine Sinne nicht beherrschen kann, wankt in seinen Entschlüssen.
Der große Politiker Canakya Pandita sagte einmal: "Traue niemals einem Diplomaten
oder einer Frau." Wer der uneingeschränkten Sinnenbefriedigung verfallen
ist, kann niemals ehrlich sein, und man kann ihm niemals trauen.
Zu jener Zeit kam der große Weise Narada zu Kamsa. Er wußte, daß Kamsa Mitleid
mit Vasudeva bekommen und ihm sein erstgeborenes Kind zurückgegeben hatte. Narada
war bestrebt, die Ankunft Sri Krishnas so weit wie möglich zu beschleunigen, und
so teilte er Kamsa mit, daß sich alle Bewohner Vrindavanas Nanda Maharaja,
die Kuhhirten und deren Frauen und die Kuhhirtenmädchen sowie Vasudeva,
dessen Vater Surasena und alle Mitglieder der Familie Vrsnis in der Yadu-Dynastie
auf das Erscheinen des Herrn vorbereiteten. Narada warnte Kamsa, sich vor den
Freunden, Gönnern und all den Halbgöttern, die in diesen Familien erscheinen würden,
in acht zu nehmen. Sowohl Kamsa als auch seine Freunde und Berater waren Dämonen,
und Dämonen fürchten sich immer vor den Halbgöttern. Nachdem Kamsa von Narada
über das Erscheinen der Halbgötter in den verschiedenen Familien unterrichtet
worden war, wurde er sehr wachsam; er wußte nun, daß die Halbgötter bereits erschienen
waren, und so kam er zur Schlußfolgerung, daß auch Sri Visnu bald erscheinen müsse.
Deshalb
ließ er sofort seinen Schwager Vasudeva und seine Schwester Devaki festnehmen
und ins Gefängnis werfen. Im Gefängnis, in eiserne Ketten gelegt, schenkten Vasudeva
und Devaki Jahr für Jahr einem männlichen Kind das Leben, und Kamsa, der in jedem
der Neugeborenen die Inkarnation Visnus sah, tötete eines nach dem anderen. Er
fürchtete sich zwar besonders vor dem achten Kind, doch nach dem Besuch Naradas
war er zu dem Schluß gekommen, daß jedes Kind Krishna sein könnte. Daher hielt
er es für besser, alle Kinder zu töten, die von Devaki und Vasudeva geboren wurden.
Das Verhalten Kamsas ist nicht schwer zu verstehen. In der Geschichte der Welt
gibt es viele Beispiele von Menschen königlichen Geschlechts, die den eigenen
Vater, den eigenen Bruder, ihre Freunde oder sogar die ganze Familie aus selbstsüchtigen
Motiven ermordeten. Dies ist nichts erstaunliches, denn Dämonen sind in ihrem
skrupellosen Ehrgeiz sogar bereit, über Leichen zu gehen.
Durch die Gnade Naradas war es Kamsa vergönnt, die Geschichte seines vorherigen
Lebens zu erfahren. Er hörte, daß er in seinem letzten Leben ein Dämon namens
Kalanemi gewesen sei und von Visnu getötet wurde. Kamsa, der in der Bhoja-Dynastie
geboren worden war, beschloß daraufhin, ein Todfeind der Yadu-Dynastie zu werden;
weil Krishna in dieser Familie geboren werden sollte, war es Kamsas große Sorge
und Furcht, daß er auch diesmal von Krishna getötet werden würde, so wie es ihm
schon in seinem letzten Leben widerfahren war.
Als erstes sperrte er seinen Vater Ugrasena ein, da dieser der führende König
unter den Königen der Yadu-, Bhoja- und Andhaka-Dynastien war, und besetzte dann
das Königreich Surasenas, des Vaters von Vasudeva. Daraufhin erklärte er sich
selbst zum König all dieser Länder.
Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 1. Kapitel des Krishna-Buches:
"Die Ankunft Sri Krishnas".
2 / Die Gebete der Halbgötter
an Krishna im Mutterleib
König Kamsa besetzte nicht nur die Reiche der
Yadu-, Bhoja- und Andhaka-Dynastien und das Königreich Surasenas, sondern er verbündete
sich auch mit allen anderen dämonischen Königen, namentlich mit den Dämonen Pralamba,
Baka, Canura, Trnavarta, Aghasura, Mustika, Arista, Dvivida, Putana, Kesi und
Dhenuka. Zu jener Zeit war Jarasandha König über die Provinz Magadha (die heute
als Bihar bekannt ist). Unter dem Schutz Jarasandhas errichtete Kamsa durch seine
geschickte Politik das mächtigste Königreich seiner Zeit. Er schloß weitere Bündnisse
mit Königen wie Banasura und Bhaumasura, bis er schließlich eine Vormachtstellung
erreichte. Daraufhin leitete er feindselige Aktionen gegen die Yadu-Dynastie ein,
in der Krishna geboren werden sollte.
Als die Könige der Yadu-, Bhoja- und Andhaka-Dynastien
so von Kamsa verfolgt wurden, mußten sie in andere Königreiche fliehen, wie in
das Reich der Kurus und der Pañcalas und in die Reiche, die als Kekaya, Salva,
Vidarbha, Nisadha, Videha und Kosala bekannt sind. Auf diese Weise brach Kamsa
den Zusammenhalt des Yadu-Königreichs wie auch den des Bhoja- und Andhaka-Reiches
und machte seine Position zur stärksten im ganzen Kontinent, der zu jener Zeit
als Bharatavarsa bezeichnet wurde.
Als Kamsa die sechs Kinder Devakis und Vasudevas
eines nach dem anderen umbrachte, suchten ihn viele Freunde und Verwandte auf
und baten ihn, von diesen Greueltaten abzulassen, doch sie alle wurden schließlich
zu Verehrern Kamsas.
Als Devaki zum siebten Mal schwanger wurde, erschien
Ananta, eine vollständige Erweiterung Krishnas, in ihrem Leibe. Devaki war von
Freude und Schmerz zugleich überwältigt. Sie war freudig, weil sie verstehen konnte,
daß Sri Visnu in ihrem Leib erschienen war; doch zur gleichen Zeit war sie auch
sehr bekümmert, da sie befürchtete, daß Kamsa auch dieses Kind töten würde. Weil
sich die Yadus aufgrund der von Kamsa begangenen Grausamkeiten in einer beklagenswerten
Lage befanden, hatte die Höchste Persönlichkeit Gottes, Krishna, großes Mitleid
mit ihnen, und so wies Er Yogamaya, Seine innere Energie, an, ebenfalls zu erscheinen.
Krishna ist der Herr des Universums, doch vor allem ist Er der Herr der Yadu-Dynastie.
Yogamaya ist die Hauptenergie der Persönlichkeit
Gottes. In den Veden wird gesagt, daß die Höchste Persönlichkeit Gottes
viele Energien besitzt: parasya saktir vividhaiva sruyate. All diese verschiedenen
Energien wirken äußerlich und innerlich, und Yogamaya ist die höchste all dieser
Energien. Krishna gab Yogamaya den Auftrag, im Land von Vrajabhumi, Vrindavana,
zu erscheinen, das immer geschmückt ist und wo Tausende von schönen Kühen weiden.
In Vrindavana lebte Rohini, eine der Frauen Vasudevas,
im Hause des Königs Nanda und der Königin Yasoda. Nicht nur Rohini, sondern auch
viele andere Angehörige der Yadu-Dynastie waren aus Furcht vor den Grausamkeiten
Kamsas geflohen und hatten sich nun über das ganze Land verstreut. Einige von
ihnen lebten sogar in Berghöhlen.
Der
Herr sagte daher zu Yogamaya: "Devaki und Vasudeva liegen im Kerker Kamsas,
und zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet Sich Sesa, Meine vollständige Erweiterung,
im Schoß Devakis. Sorge dafür, daß Sesa aus dem Schoß Devakis in den Leib Rohinis
gebracht wird. Danach werde Ich persönlich mit all Meinen Energien in den Leib
Devakis eingehen und daraufhin als der Sohn Vasudevas und Devakis erscheinen.
Und du wirst währenddessen als die Tochter Nandas und Yasodas in Vrindavana erscheinen.
Da du als Meine Schwester erscheinen wirst, werden
dich die Menschen mit wertvollen Gaben, wie mit Räucherstäbchen, Kerzen, Blumen
und Opferdar-bringungen, verehren. Dafür wirst du ihre Wünsche nach Sinnenbefriedigung
schnell erfüllen. Menschen, die materialistische Neigungen haben, werden dich
in den verschiedenen Formen deiner Erweiterungen verehren, die man Durga, Bhadrakali,
Vijaya, Vaisnavi, Kumuda, Candika, Krishna, Madhavi, Kanyaka, Maya, Narayani,
Isani, Sarada und Ambika nennen wird."
Krishna und Yogamaya erschienen als Bruder und
Schwester \ der Höchste Mächtige und die höchste Macht. Obwohl es im Grunde keinen
Unterschied zwischen dem Mächtigen und der Machtenergie gibt, ist die Machtenergie
dennoch dem Mächtigen immer untergeordnet. Die Materialisten verehren die Energie,
wohingegen die Transzendentalisten den Energieursprung verehren. Dieser Energieursprung
ist Krishna, der Höchste Mächtige, und Durga ist in der materiellen Welt die höchste
Macht. In der vedischen Kultur jedoch verehren die Menschen sowohl den Mächtigen
als auch die Macht. Es gibt viele Tausende von Tempeln, in denen Visnu und Durga,
manchmal sogar zusammen, verehrt werden. Die Verehrer der Macht, d.h. Durgas,
der äußeren Energie Krishnas, mögen in materieller Hinsicht sehr erfolgreich sein,
doch wer auf die transzendentale Ebene erhoben werden möchte, muß im Krishna-Bewußtsein
den Höchsten Mächtigen, Krishna, verehren.
Der Herr sagte auch zu Yogamaya, daß Sich Seine
vollständige Erweiterung, Ananta Sesa, im Schoß Devakis befände. Weil dieser Sich
sehr stark zu Rohini hingezogen fühle, werde Er Sankarsana genannt werden und
Sich als die Quelle aller spirituellen Kraft (bala) offenbaren, durch die
man die höchste Glückseligkeit des Lebens (ramana) erlangen könne. Daher
werde diese vollständige Teilerweiterung, Ananta, nach Seinem Erscheinen entweder
als Sankarsana oder als Balarama bekannt sein.
In den Upanisaden heißt es: nayam atma
bala-hinena labhyah. Dieser Vers besagt, daß man die höchste Stufe der Selbstverwirklichung
nicht erreichen kann, wenn man nicht von Balarama hinreichend begünstigt wird.
Bala bedeutet nicht körperliche Stärke. Niemand kann spirituelle Vollkommenheit
durch körperliche Stärke erreichen. Man muß die spirituelle Kraft besitzen, die
Balarama bzw. Sankarsana gewähren kann. Ananta oder Sesa ist die
Kraft, die alle Planeten in der Schwebe hält. In der materiellen Welt wird diese
erhaltende Kraft als das Gesetz der Schwerkraft bezeichnet, doch in Wirklichkeit
ist es die Wirkung der Energie Sankarsanas. Balarama, Sankarsana, ist die spirituelle
Kraft, der ursprüngliche spirituelle Meister. Daher ist Nityananda Prabhu, der
ebenfalls eine Inkarnation Balaramas ist, der ursprüngliche spirituelle Meister.
Der spirituelle Meister wiederum ist der Repräsentant Balaramas, der Höchsten
Persönlichkeit Gottes, der spirituelle Kraft spendet. Im Caitanya-caritamrta
wird bestätigt, daß der spirituelle Meister die Verkörperung der Barmherzigkeit
Krishnas ist.
Nachdem Yogamaya auf diese Weise von der Höchsten
Persönlichkeit Gottes angewiesen worden war, umkreiste sie den Herrn und erschien
dann in der materiellen Welt, um Seinem Befehl Folge zu leisten. Als der Höchste
Mächtige, die Persönlichkeit Gottes, Sesa aus dem Schoße Devakis in den Schoß
Rohinis versetzte, standen beide Frauen unter dem Einfluß Yogamayas, der auch
yoga-nidra genannt wird. Als dies geschehen war, glaubten die Leute, daß
Devakis siebte Schwangerschaft als Fehlgeburt geendet habe. Somit wurde also Balarama,
obwohl Er Sich zuerst als Devakis Sohn manifestiert hatte, in den Leib Rohinis
versetzt, um als deren Sohn zu erscheinen. Daraufhin ging die Höchste Persönlichkeit
Gottes, Krishna, der immer bereit ist, Seine lauteren Geweihten mit all Seinen
Kräften auszustatten, als der Herr der gesamten Schöpfung in den Geist Vasudevas
ein. In diesem Zusammenhang muß gesagt werden, daß Sich Sri Krishna zuerst in
Vasudevas reinem Herzen manifestierte und dann in Devakis Herz überging. Er ist
also nicht durch geschlechtliche Vereinigung in Devakis Leib gelangt. Krishna,
die Höchste Persönlichkeit Gottes, kann kraft Seiner unergründlichen Energie überall
und unter allen Umständen erscheinen. Deshalb war es für Ihn nicht notwendig,
auf dem gewöhnlichen materiellen Weg nach geschlechtlicher Vereinigung im Schoß
einer Frau heranzuwachsen.
Als Vasudeva die Gestalt der Höchsten Persönlichkeit
Gottes in seinem Herzen trug, glich er der glühenden Sonne, deren Strahlen für
den gewöhnlichen Menschen unerträglich und versengend sind. Die Gestalt des Herrn
im reinen Herzen Vasudevas war von der ursprünglichen Gestalt Krishnas nicht verschieden.
Jeder Ort, an dem die Gestalt Krishnas erscheint, besonders das Herz, wird dhama
genannt. Dhama bezieht sich nicht nur auf das Erscheinen von Krishnas
Gestalt, sondern auch auf das Erscheinen Seines Namens, Seiner Eigenschaften und
Seines persönlichen Besitzes, denn dies alles wird gleichzeitig manifestiert.
Dann übertrug sich die ewige Gestalt der Höchsten
Persönlichkeit Gottes mit all Ihren Kräften vom Geiste Vasudevas in den Geist
Devakis, genau wie sich die Strahlen der untergehenden Sonne auf den im Osten
aufgehenden Vollmond übertragen.
Krishna,
die Höchste Persönlichkeit Gottes, ging von Vasudevas Körper in den Körper Devakis
ein. Er befand Sich jenseits der begrenzten Existenz gewöhnlicher Lebewesen. Wenn
Krishna erscheint, begleiten Ihn alle Seine vollständigen Erweiterungen wie Narayana
und Inkarnationen wie Nrsimha, Varaha usw. Sie alle sind den Bedingungen des materiellen
Daseins nicht unterworfen. Auf diese Weise wurde Devaki zur Residenz des Herrn,
der Höchsten Persönlichkeit Gottes, dem niemand gleichkommt und der die Ursache
der Schöpfung ist. In Devaki befand sich die Absolute Wahrheit, aber weil sie
sich im Gefängnis Kamsas befand, glich sie verborgenem Feuer oder mißbrauchtem
Wissen. Wenn Feuer von Mauern umgeben ist oder im Innern eines Kruges brennt,
kann sich niemand an seinem Licht erfreuen. Ebenso wird Wissen nicht wertgeschätzt,
wenn es mißbraucht wird und der Menschheit nichts nützt. Devaki war in den Gefängnismauern
von Kamsas Palast gefangen, und daher konnte niemand ihre transzendentale Schönheit
sehen, die darauf beruhte, daß sie die Höchste Persönlichkeit Gottes in sich trug.
Kamsa jedoch bemerkte die übernatürliche Schönheit seiner Schwester und wußte
sofort, daß die Höchste Persönlichkeit Gottes in ihren Leib eingegangen war. Sie
hatte niemals zuvor so schön ausgesehen, und ihm war klar, daß sich etwas Wunderbares
in ihrem Leib befinden mußte.
Kamsa war beunruhigt, und Angst erfüllte ihn.
Er war überzeugt, daß die Höchste Persönlichkeit Gottes, die für ihn den Tod bedeuten
sollte, nun erschienen war. Er dachte bei sich: "Was soll ich mit Devaki
tun? Zweifelsohne trägt sie Visnu oder Krishna in ihrem Leib; also ist es sicher,
daß Krishna gekommen ist, um die Bitte der Halbgötter zu erfüllen. Und selbst
wenn ich Devaki sofort töte, kann Sein Vorhaben nicht verhindert werden."
Kamsa wußte sehr wohl, daß niemand imstande ist, den Plan Visnus zu vereiteln.
Jeder intelligente Mensch kann verstehen, daß die Gesetze Gottes nicht umgangen
werden können. Seine Pläne werden trotz aller Widerstände der Dämonen durchgesetzt.
Kamsa dachte weiter: "Wenn ich Devaki zum gegenwärtigen Zeitpunkt töte,
wird Visnu Seinen höchsten Willen umso heftiger durchsetzen. Devaki jetzt zu töten
wäre eine höchst verruchte Handlung. Niemand will seinen Ruf aufs Spiel setzen
\ nicht einmal in einer gefährlichen Situation \, und wenn ich Devaki jetzt töte,
ist es um mein Ansehen geschehen. Devaki ist eine Frau und befindet sich in meiner
Obhut; außerdem ist sie schwanger, und wenn ich sie töte, habe ich mein Ansehen,
das Ergebnis meiner frommen Handlungen und meine Lebensdauer verspielt."
Er dachte weiter: "Wer zu grausam ist, ist
schon zu Lebzeiten so gut wie tot. Niemand mag einen grausamen Menschen, und nach
seinem Tode verfluchen ihn die Leute. Weil er sich mit dem Körper identifiziert,
wird er zweifelsohne erniedrigt und in die finstersten Regionen der Hölle geworfen."
Auf diese Weise überlegte Kamsa, ob er Devaki töten solle oder nicht, und wägte
sorgfältig alle Vor- und Nachteile ab.
Schließlich kam Kamsa zu dem Schluß, Devaki nicht
sofort zu töten, sondern die unvermeidliche Zukunft abzuwarten. Seine Gedanken
jedoch erfüllten sich mit Haß gegen die Persönlichkeit Gottes. Er wartete geduldig
auf die Geburt des Kindes, in der Absicht, es sofort zu töten, wie er es bereits
mit den anderen Kindern Devakis getan hatte. Versunken in einen Ozean des Hasses
gegen die Persönlichkeit Gottes, begann er, im Sitzen, im Stehen, im Gehen, beim
Schlafen, beim Essen, beim Arbeiten \ immer und unter allen Umständen \ an Krishna
und Visnu zu denken. Sein Geist wurde so sehr von Gedanken an die Höchste Persönlichkeit
Gottes erfüllt, daß er indirekt überall nur noch Krishna, oder Visnu, sah. Obwohl
Kamsa so sehr in Gedanken an Visnu versunken war, kann er nicht als Gottgeweihter
anerkannt werden, da er an Krishna als Feind dachte. Große Gottgeweihte sind auch
ständig in Gedanken an Krishna versunken, doch sie denken an Ihn mit Liebe, und
nicht mit Haß. Mit Liebe an Krishna zu denken ist Krishna-Bewußtsein, aber mit
Haß an Krishna zu denken ist kein Krishna-Bewußtsein.
Zu dieser Zeit erschienen Brahma und Siva, begleitet
von großen Weisen wie Narada und gefolgt von vielen anderen Halbgöttern, unsichtbar
im Palast Kamsas, und sie priesen die Höchste Persönlichkeit Gottes mit erlesenen
Gebeten, die die Gottgeweihten mit Freude erfüllen und ihre Wünsche zufriedenstellen.
Mit den ersten Worten, die sie sprachen, drückten sie ihre Freude darüber aus,
daß der Herr Sein Versprechen stets hält. Wie in der Bhagavad-gita gesagt
wird, erscheint Krishna in der materiellen Welt nur, um die Frommen zu beschützen
und die Atheisten zu vernichten. Das ist Sein Versprechen. Die Halbgötter wußten,
daß Sich der Herr im Leibe Devakis befand, um dieses Versprechen zu erfüllen.
Sie waren sehr froh, daß der Herr zu diesem Zwecke erschienen war, und priesen
Ihn daher als satyam param, als die Höchste Absolute Wahrheit.
Jeder sucht nach der Wahrheit. Dies ist der philosophische
Aspekt des Lebens. Von den Halbgöttern erfahren wir, daß die Höchste Absolute
Wahrheit Krishna ist. Wer völlig Krishna-bewußt wird, kann die Absolute Wahrheit
erkennen, denn Krishna ist die Absolute Wahrheit. Eine relative Wahrheit kann
nicht in allen drei Phasen der ewigen Zeit, das heißt in Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft, Wahrheit sein. Krishna hingegen ist immer Wahrheit \ in der Vergangenheit,
in der Gegenwart und auch in der Zukunft. In der materiellen Welt, die von der
höchsten Zeit beherrscht wird, ist alles dem Ablauf von Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft unterworfen. Krishna jedoch existierte bereits vor der Schöpfung,
und wenn die Schöpfung manifestiert ist, ruht sie in Ihm, und wenn sie vernichtet
wird, wird Krishna unberührt davon weiter existieren. Daher ist Er unter allen
Umständen die Absolute Wahrheit. Wenn es irgendeine Wahrheit in der materiellen
Welt gibt, so geht sie von der Höchsten Wahrheit, Krishna, aus; wenn es Reichtum
in der materiellen Welt gibt, so ist die Ursache dieses Reichtums Krishna; wenn
es Ruhm in der materiellen Welt gibt, so ist der Grund dieses Ruhms Krishna; wenn
es Macht in der materiellen Welt gibt, so ist der Ursprung dieser Macht Krishna,
und wenn es Wissen und Bildung in der materiellen Welt gibt, so ist die Quelle
dieses Wissens ebenfalls Krishna. Daher ist Krishna der Urgrund aller relativen
Wahrheiten.
Die materielle Welt besteht aus fünf Hauptelementen:
Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Alle diese Elemente sind Emanationen Krishnas.
Die materialistischen Wissenschaftler erkennen zwar diese fünf Hauptelemente als
die Ursache der materiellen Manifestation an, doch sie wissen nicht, daß diese
Elemente in ihrem grobstofflichen und feinstofflichen Zustand von Krishna geschaffen
wurden. Die Lebewesen, die sich in der materiellen Welt befinden, gehören zur
marginalen Energie Krishnas. Im Siebten Kapitel der Bhagavad-gita wird
ausführlich erklärt, daß die gesamte kosmische Manifestation eine Kombination
zweier Energien Krishnas ist, der höheren und der niederen Energie. Die Lebewesen
sind Seine höhere Energie, und die toten materiellen Elemente sind Seine niedere
Energie. Im unmanifestierten Zustand ruht alles in Krishna. Die Halbgötter richteten
weitere ehrfurchtsvolle Gebete an die höchste Form der Persönlichkeit Gottes,
Krishna, indem sie die materielle Manifestation beschrieben und analysierten.
Was ist die materielle Manifestation? Sie ist wie ein Baum, denn ähnlich wie ein
Baum im Erdreich wurzelt, so wurzelt der Baum der materiellen Manifestation im
Boden der materiellen Natur. Die materielle Manifestation wird auch deshalb mit
einem Baum verglichen, weil ein Baum nach einer gewissen Zeit gefällt wird. Das
Sanskritwort für "Baum" ist vrksa. Vrksa bedeutet "das,
was letzten Endes gefällt wird". Daher kann der Baum der materiellen Manifestation
nicht als die endgültige Wahrheit angesehen werden. Auf der materiellen Manifestation
lastet der Einfluß der Zeit, doch Krishnas Körper ist ewig. Krishna bestand vor
der materiellen Schöpfung, Er besteht während ihrer Manifestation, und Er wird
auch nach ihrer Vernichtung weiter bestehen.
Auch in der Katha Upanisad finden wir das
Beispiel vom Baum der materiellen Manifestation, der im Boden der materiellen
Natur wurzelt. Dieser Baum trägt zwei Früchte: Glück und Leid. Diejenigen, die
im Baum des Körpers leben, werden mit zwei Vögeln verglichen. Der eine Vogel ist
der lokalisierte Aspekt Krishnas, die Überseele (der Paramatma), und der andere
Vogel ist das Lebewesen, die Seele. Das Lebewesen ißt die Früchte der materiellen
Manifestation. Manchmal ißt es die Früchte des Glücks, und manchmal ißt es die
Früchte des Leids. Der andere Vogel jedoch ist nicht daran interessiert, die Früchte
des Leids oder des Glücks zu essen, denn er ist in sich selbst zufrieden. Die
Katha Upanisad sagt, daß der eine Vogel auf dem Baum des Körpers die Früchte
verzehrt, während der andere Vogel einfach Zeuge ist. Die Wurzeln des Baumes erstrecken
sich in drei Richtungen, und sie werden mit den drei Erscheinungsweisen der materiellen
Natur verglichen: Tugend, Leidenschaft und Unwissenheit. Ein Baum wächst entsprechend
seinen Wurzeln, und entsprechend dem Kontakt mit den drei Erscheinungsweisen wächst
die Dauer des Aufenthalts in der materiellen Welt. Die Früchte dieses Baumes haben
vier verschiedene Arten des Geschmacks: Religiosität, wirtschaftliche Entwicklung,
Sinnenbefriedigung und schließlich Befreiung. Je nach ihrer Verbindung mit den
drei Erscheinungsweisen erfahren die Lebewesen den Geschmack verschiedener Arten
der Religiosität, des materiellen Fortschritts, der Sinnenbefriedigung und der
Befreiung. Im Grunde wird jede Handlung in der materiellen Welt in Unwissenheit
ausgeführt, doch weil es drei Erscheinungsweisen gibt, ist die Erscheinungsweise
der Unwissenheit manchmal mit Tugend oder Leidenschaft vermischt. Der Geschmack
dieser materiellen Früchte wird mit fünf Sinnen wahrgenommen.
Die fünf Sinnesorgane, durch die Wissen erworben
wird, werden von sechs Arten des Leids gepeitscht: Klagen, Illusion, Schwäche,
Tod, Hunger und Durst. Der materielle Körper wird von sieben Schichten bedeckt:
Haut, Muskeln, Fleisch, Mark, Knochen, Fett und Samen. Der Baum hat acht Äste:
Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Geist, Intelligenz und falsches Ego. Es gibt
neun Öffnungen im Körper: zwei Augen, zwei Ohren und zwei Nasenlöcher, den Mund,
das Geschlechtsteil und den Anus. Außerdem zirkulieren zehn Arten von innerer
Luft im Körper: prana, apana, udana, vyana, samana usw. Die beiden Vögel,
die in diesem Baum sitzen, sind, wie oben erklärt, das Lebewesen und der lokalisierte
Aspekt der Höchsten Persönlichkeit Gottes.
Die ursprüngliche Ursache der materiellen Manifestation
ist die Höchste Persönlichkeit Gottes. Die Höchste Persönlichkeit Gottes erweitert
Sich und lenkt die drei Erscheinungsweisen der materiellen Welt: Visnu lenkt die
Erscheinungsweise der Tugend; Brahma lenkt die Erscheinungsweise der Leidenschaft,
und Siva lenkt die Erscheinungsweise der Unwissenheit. Brahma erschafft das Universum
durch die Erscheinungsweise der Leidenschaft; Visnu erhält es durch die Erscheinungsweise
der Tugend, und Siva vernichtet es durch die Erscheinungsweise der Unwissenheit.
Die gesamte Schöpfung ruht letztlich im Höchsten Herrn. Er ist der Ursprung von
Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung. Wenn die gesamte Manifestation aufgelöst
worden ist, ruht sie in ihrer feinstofflichen Form, als Energie, im Körper des
Höchsten Herrn.
Die Halbgötter fuhren fort: "Der Höchste
Herr, Sri Krishna, bereitet nun Sein Erscheinen vor, um für die Erhaltung der
Schöpfung zu sorgen." Es gibt nur eine höchste Ursache, doch weniger intelligente
Menschen, die von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur verwirrt werden,
glauben, die Entstehung der Welt habe verschiedene andere Ursachen. Wer hingegen
intelligent ist, kann erkennen, daß es nur eine Ursache gibt \ Krishna. Dies wird
in der Brahma-samhita bestätigt: sarva-karana-karanam. "Krishna,
die Höchste Persönlichkeit Gottes, ist die Ursache aller Ursachen." Brahma
ist der bevollmächtigte Verantwortliche für die Schöpfung; Visnu, eine Erweiterung
Krishnas, ist für die Erhaltung, und Siva, ebenfalls eine Erweiterung des Höchsten,
ist für die Auflösung zuständig.
"O Herr", beteten die Halbgötter, "es
ist sehr schwierig, Deine ewige persönliche Gestalt zu verstehen. Die Menschen
sind im allgemeinen nicht imstande, Deine wirkliche Gestalt zu erkennen; daher
erscheinst Du, um Deine ursprüngliche ewige Gestalt zu offenbaren. Auf irgendeine
Weise können die Menschen zwar Deine verschiedenen Inkarnationen verstehen, doch
es bereitet ihnen große Schwierigkeiten, Dich in Deiner ewigen Gestalt zu verstehen,
als der zweiarmige Krishna, der Sich unter ihnen bewegt wie einer der Ihren. Diese
ewige Gestalt bereitet den Gottgeweihten ständig anwachsende transzendentale Freude,
doch für die Nichtgottgeweihten ist sie sehr bedrohlich." Laut der Bhagavad-gita
ist Krishna für die sadhus die Quelle aller Freude, denn dort heißt
es: paritranaya sadhunam. Aber derselbe Krishna ist für die Dämonen sehr
bedrohlich, weil Er auch erscheint, um die Dämonen zu töten. So ist Krishna gleichzeitig
die Ursache großer Freude für die Gottgeweihten und die Ursache großer Furcht
für die Dämonen.
"O Lotosäugiger", fuhren die Halbgötter
fort, "Du bist die Quelle reiner Tugend. Es gibt viele große Weise, die den
weiten Ozean der Unwissenheit, der von der materiellen Natur geschaffen wurde,
auf die Größe einer Wasserpfütze im Hufabdruck eines Kalbes verringerten, da sie
die Stufe des samadhi erreichten, das heißt, weil sie über Deine Lotosfüße
meditierten und somit in Gedanken an Dich versanken." Das Ziel der Meditation
besteht darin, den Geist auf die Persönlichkeit Gottes zu richten, wobei man als
erstes über Seine Lotosfüße meditiert. Viele große Weise haben schon den weiten
Ozean des materiellen Daseins ohne Schwierigkeiten überquert, einfach nur indem
sie über die Lotosfüße des Herrn meditierten.
"O
Selbsterleuchteter, die großen Heiligen, die den Ozean der Unwissenheit im transzendentalen
Boot Deiner Lotosfüße überquerten, haben das Boot nicht fortgenommen. Es liegt
immer noch am Ufer." Die Halbgötter gebrauchen einen sehr schönen Vergleich.
Wenn jemand ein Boot benutzt, um einen Fluß zu überqueren, so nimmt er das Boot
mit sich auf die andere Seite des Flusses. Wie ist es also möglich, wenn jemand
auf diese Weise sein Ziel erreicht hat, daß das gleiche Boot immer noch denen
zur Verfügung steht, die am anderen Ufer zurückgeblieben sind? Als Antwort auf
diese schwierige Frage sagen die Halbgötter in ihrem Gebet, daß das Boot gar nicht
fortgenommen wurde. Deshalb können die Gottgeweihten, die auf der anderen Seite
zurückgeblieben sind, den Ozean der materiellen Natur ebenfalls hinter sich lassen,
weil die reinen Gottgeweihten das Boot nicht mitnehmen, wenn sie diesen Ozean
überqueren. Schon dadurch, daß man sich dem Boot nur nähert, wird der weite Ozean
der materiellen Unwissenheit auf die Größe einer Pfütze im Hufabdruck eines Kalbes
verkleinert. Daher benötigen die Gottgeweihten kein Boot, um an das andere Ufer
zu gelangen \ sie überqueren den Ozean einfach mit einem kleinen Schritt. Weil
die großen Heiligen mit allen bedingten Seelen Mitleid haben, liegt das Boot immer
noch bei den Lotosfüßen des Herrn. Man kann jederzeit über Seine Lotosfüße meditieren
und auf diese Weise den Ozean der materiellen Unwissenheit überqueren.
Meditation bedeutet Konzentration des Geistes
auf die Lotosfüße des Herrn. Das Wort "Lotosfüße" weist auf die Höchste
Persönlichkeit Gottes hin. Die Anhänger der Unpersönlichkeitsphilosophie erkennen
die Lotosfüße des Herrn nicht an, und daher ist ihr Objekt der Meditation etwas
Unpersönliches. Die Halbgötter erklären jedoch unmißverständlich, daß diejenigen,
die über etwas Leeres und Unpersönliches meditieren, den Ozean der Unwissenheit
nicht überqueren können. Solche Menschen bilden sich nur ein, sie seien befreit.
Die Halbgötter sagten: "O lotosäugiger Herr, ihre Intelligenz ist unrein,
da sie nicht über Deine Lotosfüße meditieren." Weil die Unpersönlichkeitsanhänger
dies vernachlässigen, fallen sie wieder ins materielle, bedingte Leben zurück,
obwohl sie sich für eine gewisse Zeit sogar auf die Stufe der unpersönlichen Verwirklichung
erheben mögen. Die Unpersönlichkeitsanhänger gehen, nachdem sie strenge Entsagungen
und Bußen auf sich genommen haben, in die Brahman-Ausstrahlung, d.h. in die unpersönliche
Brahman-Existenz, ein. Doch ihr Geist ist nicht frei von materieller Verunreinigung.
Sie haben lediglich versucht, die materielle Denkweise zu negieren. Das bedeutet
jedoch noch lange nicht, daß sie befreit sind. Deshalb kommen sie wieder zu Fall.
In der Bhagavad-gita wird gesagt, daß es den Unpersönlichkeitsanhängern
nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist, das endgültige Ziel zu erreichen.
Ebenso heißt es zu Beginn des Srimad-Bhagavatam, daß man erst dann von
den Fesseln fruchtbringender Tätigkeiten befreit ist, wenn man der Höchsten Persönlichkeit
Gottes hingebungsvollen Dienst darbringt. In der Bhagavad-gita wird dies
von Sri Krishna gesagt; im Srimad-Bhagavatam wird diese Tatsache von dem
großen Weisen Narada bestätigt, und hier sagen es auch die Halbgötter: "Wer
Dir nicht in liebender Hingabe dient, hat das endgültige Ziel der Erkenntnis nicht
verstanden, und er ist nicht mit Deiner Gnade gesegnet."
Die Unpersönlichkeitsanhänger bilden sich nur
ein, befreit zu sein. In Wirklichkeit jedoch haben sie nicht die geringste Vorstellung
von der Persönlichkeit Gottes. Sie glauben, Krishna nehme einen materiellen Körper
an, wenn Er in die materielle Welt kommt. Sie ignorieren also den transzendentalen
Körper Krishnas. Dies wird ebenfalls in der Bhagavad-gita bestätigt: avajananti
mam mudhah. Selbst wenn die Unpersönlichkeitsanhänger die materielle Lust
besiegen und sich auf die Ebene der Befreiung erheben, kommen sie wieder zu Fall.
Wenn sie sich Wissen nur um des Wissens willen aneignen und sich nicht im hingebungsvollen
Dienst beschäftigen, können sie das ersehnte Ziel nicht erreichen. Was sie erreichen,
ist die Mühe, die sie sich machen \ sonst nichts. Es wird in der Bhagavad-gita
eindeutig gesagt, daß die Erkenntnis der eigenen Zugehörigkeit zum Brahman
nicht alles ist. Die Brahman-Erkenntnis kann einem Menschen vielleicht helfen,
Zufriedenheit, die frei von materieller Anhaftung und Abneigung ist, zu erreichen
und auf die Ebene der Ausgeglichenheit zu gelangen, doch von dieser Stufe muß
man einen Schritt weiter gehen und mit hingebungsvollem Dienst beginnen. Wer sich
im hingebungsvollen Dienst beschäftigt, nachdem er die Ebene der Brahman-Erkenntnis
erreicht hat, darf das spirituelle Königreich betreten, um dort für immer mit
der Höchsten Persönlichkeit Gottes zusammenzusein. Das ist das Ergebnis des hingebungsvollen
Dienstes. Die Geweihten der Höchsten Persönlichkeit Gottes fallen niemals wieder
auf die materielle Ebene hinunter wie die Unpersönlichkeitsanhänger. Selbst wenn
die Gottgeweihten straucheln, bleiben sie mit dem Höchsten Herrn in Liebe verbunden.
Sie mögen auf dem Pfad des hingebungsvollen Dienstes auf viele Hindernisse stoßen,
doch sie können solche Hindernisse sehr leicht und ohne Furcht überwinden. Da
sie Krishna hingegeben sind, können sie sicher sein, daß Er sie immer beschützen
wird. Dies verspricht Krishna persönlich in der Bhagavad-gita: "Meine
Geweihten werden niemals besiegt."
"O Herr, Du bist zum Wohl aller Lebewesen
in der materiellen Welt in Deiner ursprünglichen, reinen Gestalt, der ewigen Gestalt
der Tugend, erschienen. Mit Deinem Erscheinen wird ihnen nun die Möglichkeit geboten,
Dein Wesen und Deine Gestalt zu verstehen. Die Menschen aller vier Stufen des
Lebens (die brahmacaris, die grhasthas, die vanaprasthas und
die sannyasis) können aus Deinem Erscheinen Nutzen ziehen.
O Herr, Gemahl der Glücksgöttin, Gottgeweihte,
die Dir in Hingabe dienen, fallen \ im Gegensatz zu den Unpersönlichkeitsanhängern
\ nicht wieder von der hohen Stufe herab, die sie erreicht haben. Von Dir beschützt,
können Deine Geweihten über die Köpfe von mayas Abgesandten hinwegschreiten,
die ihnen auf dem Weg der Befreiung ständig Hindernisse entgegenstellen. O Herr,
Du erscheinst zum Wohl aller Lebewesen in Deiner transzendentalen Gestalt, so
daß sie Dich von Angesicht zu Angesicht sehen und Dir in Verehrung ihre Opfer
darbringen können, indem sie die Rituale der Veden, mystische Meditation
oder hingebungsvollen Dienst ausführen, wie es in den Schriften empfohlen wird.
O Herr, erschienest Du nicht in Deiner ewigen transzendentalen Gestalt, die voller
Glückseligkeit und Wissen ist und die jegliche Art von unwissenden Vorstellungen
über Dich zu beseitigen vermag, dann würde jeder, je nach der Erscheinungsweise
der materiellen Natur, von der er beherrscht wird, einfach nur über Dich spekulieren."
Das
Erscheinen Krishnas ist die Antwort auf alle phantasiehaften Vorstellungen und
Bildnisse von der Höchsten Persönlichkeit Gottes. Jeder stellt sich die Gestalt
der Höchsten Persönlichkeit Gottes gemäß der Erscheinungsweise vor, von der er
beeinflußt wird. In der Brahma-samhita wird gesagt, daß der Höchste Herr
die älteste Person ist. Aus diesem Grunde glauben einige Menschen, Gott müsse
sehr alt sein, und stellen Ihn daher als alten Mann dar. Doch in derselben Brahma-samhita
wird auch das genaue Gegenteil erklärt: Obwohl Er das älteste unter allen
Lebewesen ist, besitzt Er dennoch die ewige Gestalt eines blühenden Jünglings.
Die genauen Worte, die in diesem Zusammenhang im Srimad-Bhagavatam gebraucht
werden, lauten: vijñanam ajñana bhidapamarjanam.
Vijñanam bedeutet "transzendentales
Wissen von der Höchsten Person". Vijñanam bezieht sich auch auf verwirklichtes
Wissen. Transzendentales Wissen muß über den herabsteigenden Weg der Schülernachfolge
empfangen werden, genau wie Brahma in seiner Brahma-samhita transzendentales
Wissen über Krishna weiterreicht. Die Brahma-samhita ist vijñanam, da sie
die Frucht von Brahmas transzendentaler Verwirklichung ist, und mit dieser Verwirklichung
war es ihm möglich, die Gestalt und die Spiele Krishnas in dessen transzendentalem
Reich zu beschreiben. Ajñanabhid bedeutet "das, was alle Arten von
Spekulationen widerlegen kann". In ihrer Unwissenheit stellen sich die Menschen
Gott nach ihrem Gutdünken vor: Manchmal hat Er keine Gestalt, und manchmal hat
Er eine Gestalt, die den verschiedenen Vorstellungen der Menschen entspringen.
Die Darstellung in der Brahma-samhita ist jedoch vijñanam \ wissenschaftliches,
verwirklichtes Wissen, das von Brahma weitergegeben und von Sri Caitanya anerkannt
wurde. Darüber besteht kein Zweifel. Sri Krishnas Gestalt, Sri Krishnas Flöte,
Krishnas Körpertönung \ all das ist Realität. Hier wird gesagt, daß vijñanam
alle Arten spekulativen Wissens besiegt. "Daher wäre es unmöglich, ajñanabhid
(Wissen, daß spekulatives Wissen Unwissenheit ist) oder vijñanam zu
erlangen, wenn Du nicht als Krishna, so wie Du bist, erscheinen würdest. Ajñanabhid
apamarjanam \ durch Dein Erscheinen wird die Unwissenheit spekulativen Wissens
besiegt und muß dem wirklichen Wissen, das man von Autoritäten wie Brahma empfängt,
weichen. Menschen, die von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur beherrscht
werden, schaffen sich entsprechend diesen Erscheinungsweisen ihren eigenen Gott.
Aus diesem Grunde gibt es die verschiedensten Vorstellungen von Gott, aber Dein
Erscheinen wird die wahre Gestalt Gottes offenbaren."
Der größte Irrtum, dem die Unpersönlichkeitsanhänger
unterliegen, ist die Vorstellung, die Inkarnation Gottes nehme einen materiellen
Körper in der Erscheinungsweise der Tugend an. In Wirklichkeit nämlich befindet
sich die transzendentale Gestalt Krishnas bzw. Narayanas jenseits jeder materiellen
Vorstellung. Sogar der bedeutendste Vertreter der Unpersönlichkeitslehre, Sankaracarya,
bestätigte dies mit den Worten narayanah paro 'vyaktat: Die materielle
Schöpfung wird durch die unpersönliche avyakta-Manifestation der Materie
verursacht, d.h. von der Gesamtheit der Materie in ihrem unmanifestierten Zustand;
doch Krishna ist unter allen Umständen transzendental zu dieser materiellen Natur.
Auch im Srimad-Bhagavatam wird die Stellung Krishnas als transzendental
(suddha-sattva) bezeichnet. Er befindet Sich nicht in der materiellen Erscheinungsweise
der Tugend, sondern steht über ihr. Er ist transzendental \ ewig, voller Wissen
und voller Glückseligkeit.
"O Herr", fuhren die Halbgötter fort,
"wenn Du in Deinen verschiedenen Inkarnationen erscheinst, nimmst Du, entsprechend
den jeweiligen Situationen, verschiedene Namen und Formen an. Krishna ist Dein
Name, weil Du allanziehend bist, und wegen Deiner transzendentalen Schönheit wirst
Du Syamasundara genannt. Syama bedeutet eschwärzlich', und dennoch wird
gesagt, daß Du Tausende von Liebesgöttern an Schönheit übertriffst \ kandarpa-koti-kamaniya.
Obgleich Du in einer Farbe erscheinst, die sich mit der einer schwärzlichen
Wolke vergleichen läßt, ist Deine Schönheit, da Du transzendental und absolut
bist, um viele Male anziehender als die anmutige Gestalt des Liebesgottes. Manchmal
wirst Du Giridhari genannt, weil Du den Berg Govardhana emporgehoben hast, und
manchmal wirst Du Nandanandana, Vasudeva oder Devakinandana genannt, weil Du als
der Sohn von Maharaja Nanda bzw. von De-vaki und Vasudeva erscheinst.
Die Unpersönlichkeitsanhänger denken, Deine vielen
Namen und Formen entsprächen jeweils einer bestimmten Handlungsweise und Eigenschaft,
denn sie betrachten Dich von einem materialistischen Standpunkt aus.
O Herr, man kann Dein absolutes Wesen, Deine absolute
Gestalt und Deine absoluten Taten nicht durch mentale Spekulation verstehen. Man
muß sich im hingebungsvollen Dienst beschäftigen \ dann erst kann man Dich wirklich
erkennen. Im Grunde kann nur ein Mensch, der zumindest ein wenig den Geschmack
daran gefunden hat, Deinen Lotosfüßen zu dienen, Dein transzendentales Wesen,
Deine transzendentale Gestalt und Deine transzendentalen Eigenschaften verstehen.
Andere mögen für Millionen von Jahren fortfahren zu spekulieren, doch es wird
ihnen nicht gelingen, auch nur den geringsten Aspekt Deiner wirklichen Position
zu verstehen." Mit anderen Worten, die Höchste Persönlichkeit Gottes, Krishna,
kann von Nichtgottgeweihten nicht verstanden werden, weil Seine wahre Gestalt
wegen des Schleiers von Yogamaya ihrer Sicht verborgen bleibt. In der Bhagavad-gita
wird dies vom Herrn bestätigt: naham prakasah sarvasya. "Ich bin
nicht allen und jedem sichtbar." Als Krishna erschien, war Er tatsächlich
auf dem Schlachtfeld von Kuruksetra anwesend, und jeder sah Ihn. Aber nicht jeder
konnte verstehen, daß Er die Höchste Persönlichkeit Gottes war. Und dennoch wurde
jeder, der in Seiner Gegenwart starb, aus der materiellen Gefangenschaft befreit
und in die spirituelle Welt erhoben.
"Lieber Herr, die Unpersönlichkeitsanhänger
und Nichtgottgeweihten können nicht begreifen, daß Dein Name mit Deiner Form identisch
ist." Da der Herr absolut ist, besteht zwischen Ihm und Seinem Namen kein
Unterschied. In der materiellen Welt jedoch sind der Name und der Gegenstand voneinander
verschieden. Eine Mangofrucht ist von dem Wort "Mango" verschieden.
Man kann den Geschmack der Mangofrucht nicht verspüren, wenn man lediglich "Mango,
Mango, Mango" ruft. Der Gottgeweihte aber, der weiß, daß es keinen Unterschied
zwischen dem Namen und der Form Gottes gibt, chantet "Hare Krishna, Hare
Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare / Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare"
und erfährt auf diese Weise, daß er ständig mit Krishna zusammen ist.
Für diejenigen, die im absoluten Wissen vom Höchsten
noch nicht so weit fortgeschritten sind, offenbart Sri Krishna Seine transzendentalen
Spiele. Indem sie einfach an die Spiele des Herrn denken, können sie den vollen
Nutzen erlangen. Da zwischen dem transzendentalen Namen und der transzendentalen
Form des Herrn kein Unterschied besteht, sind auch Seine transzendentalen Spiele
nicht von Ihm verschieden. Für die weniger Intelligenten (wie Frauen, Arbeiter
und Kaufleute) schrieb der große Weise Vyasadeva das Mahabharata. Im Mahabharata
ist Krishna in Form Seiner verschiedenen Taten gegenwärtig. Dieses Werk schildert
historische Begebenheiten, und einfach indem sie die transzendentalen Taten Krishnas
studieren, über sie hören und sich an sie erinnern, können auch die weniger intelligenten
Menschen allmählich auf die Ebene eines reinen Gottgeweihten gelangen.
Von den reinen Gottgeweihten, die immer in Gedanken
an die transzendentalen Lotosfüße Krishnas versunken sind und in vollkommenem
Krishna-Bewußtsein ununterbrochen hingebungsvollen Dienst darbringen, sollte man
niemals denken, sie befänden sich immer noch in der materiellen Welt. Srila Rupa
Gosvami erklärte, daß diejenigen, die ständig mit Körper, Geist und Taten im Krishna-Bewußtsein
beschäftigt sind, als befreit angesehen werden müssen \ auch wenn sie sich noch
in einem materiellen Körper befinden. Dies wird auch in der Bhagavad-gita bestätigt.
Dort heißt es, daß diejenigen, die dem Herrn hingebungsvollen Dienst darbringen,
die materielle Welt bereits hinter sich gelassen haben.
Krishna erscheint, um sowohl Seinen Geweihten
als auch den Nichtgottgeweihten die Möglichkeit zur Erkenntnis des eigentlichen
Zieles des Lebens zu geben. Die Gottgeweihten erhalten die Gelegenheit, Ihn direkt
zu sehen und zu verehren, während diejenigen, die sich noch nicht auf dieser Ebene
befinden, die Möglichkeit bekommen, mit Seinen Spielen vertraut zu werden und
auf diese Weise zur gleichen Stellung erhoben zu werden.
"O Herr, o höchster Herrscher, wenn Du auf
der Erde erscheinst, werden alle Dämonen, wie Kamsa und Jarasandha, vernichtet
werden, und Glück und Frieden werden auf der Erde wieder einkehren. Wenn Du über
die Erde schreitest, werden Deine Lotosfüße die Zeichen auf Deinen Fußsohlen,
wie die Fahne, den Dreizack und den Blitz, als Spuren auf dem Boden zurücklassen.
Auf diese Weise läßt Du sowohl der Erde als auch uns auf den himmlischen Planeten,
die wir diese Zeichen sehen, Deine Gunst zukommen."
"O Herr", beteten die Halbgötter weiter,
"Du bist ungeboren, und daher finden wir für Dein Erscheinen keinen anderen
Grund, als daß du kommst, um Dich Deiner transzendentalen Spiele zu erfreuen."
Obwohl der Grund für das Erscheinen des Herrn in der Bhagavad-gita erklärt
wird (Er kommt, um die Gottgeweihten zu beschützen und die Dämonen zu vernichten),
erscheint Er im Grunde, um Sich mit Seinen Geweihten zu erfreuen, und nicht direkt,
um die Nichtgottgeweihten zu töten. Die Nichtgottgeweihten könnten auch einfach
durch die materielle Natur vernichtet werden. "Die Aktionen und Reaktionen
der äußeren, materiellen Energie (nämlich Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung)
geschehen automatisch; doch was Deine Geweihten betrifft, so erhalten sie hinlänglichen
Schutz, indem sie einfach bei Deinem Heiligen Namen Zuflucht suchen, denn Dein
Heiliger Name und Deine Persönlichkeit sind nicht voneinander verschieden."
Um die Gottgeweihten zu beschützen und die Dämonen zu vernichten, braucht die
Höchste Persönlichkeit Gottes nicht unbedingt Selbst zu kommen. Er erscheint nur
aus Seiner transzendentalen Freude \ es kann keinen anderen Grund geben.
"O Herr, Du erscheinst als der Beste der
Yadu-Dynastie, und wir bringen Deinen Lotosfüßen unsere respektvollen, demütigen
Ehrerbietungen dar. Vor Deinem jetzigen Erscheinen bist Du als Fisch-Inkarnation
erschienen und als Pferde-, Schildkröten-, Eber- und Schwan-Inkarnation, als König
Ramacandra, als Parasurama und in vielen anderen Inkarnationen. Du erschienst
nur, um Deine Geweihten zu beschützen, und daher bitten wir Dich, daß Du auch
uns in Deiner gegenwärtigen Erscheinung als die Höchste Persönlichkeit Gottes
überall in den drei Welten Schutz gewähren und alles beseitigen mögest, was uns
daran hindert, in Frieden zu leben.
Liebe Mutter Devaki, in deinem Leib befindet Sich
der Herr, die Höchste Persönlichkeit Gottes, der zusammen mit all Seinen vollständigen
Erweiterungen erscheint. Er ist die ursprüngliche Persönlichkeit Gottes, die zu
unserem Wohl erscheint; daher brauchst du dich vor deinem Bruder, dem König von
Bhoja, nicht zu fürchten. Dein Sohn, Sri Krishna, die ursprüngliche Persönlichkeit
Gottes, kommt zum Schutz der frommen Yadu-Dynastie. Er erscheint nicht allein,
sondern wird von Seiner unmittelbaren vollständigen Erweiterung, Balarama, begleitet."
Devaki fürchtete sich sehr vor ihrem Bruder Kamsa,
weil dieser bereits alle ihre Kinder getötet hatte. Daher war sie um Krishna sehr
in Sorge. Im Visnu Purana wird gesagt, daß alle Halbgötter mit ihren Frauen
Devaki des öfteren besuchten, um sie zu ermutigen, keine Angst zu haben, daß ihr
Sohn von Kamsa getötet werde; Krishna, der Sich in ihrem Leib befinde, erscheine
nicht nur, um die Welt von ihrer Last zu befreien, sondern vor allem auch, um
die Interessen der Yadu-Dynastie zu verteidigen, und natürlich auch, um Devaki
und Vasudeva zu beschützen. Krishna befand Sich nun also in Devakis Leib, nachdem
Er von Vasudevas Geist in den Geist Devakis übergegangen war. So wurde Devaki,
Krishnas Mutter, von den Halbgöttern verehrt.
Nachdem die Halbgötter auf diese Weise der transzendentalen
Form des Herrn ihre Verehrung dargebracht hatten, kehrten sie alle, mit Brahma
und Siva an der Spitze, in ihre Reiche auf den himmlischen Planeten zurück.
Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen
zum 2. Kapitel des Krishna-Buches: "Die Gebete der Halbgötter an Krishna
im Mutterleib".
3 / Die Geburt Sri Krishnas
In
der Bhagavad-gita sagt der Herr, daß Sein Erscheinen, Seine Geburt und
Seine Taten transzendental sind und daß jeder, der sie wirklich versteht, sofort
die Befähigung erlangt, in die spirituelle Welt erhoben zu werden. Die Geburt
oder vielmehr das Erscheinen des Herrn ist also nicht mit der eines gewöhnlichen
Menschen zu vergleichen, der gezwungen ist, entsprechend seinen vergangenen Taten
einen materiellen Körper anzunehmen. Warum der Herr erscheint, wurde bereits im
Zweiten Kapitel dieses Buches erklärt: Er erscheint aus Seiner eigenen Freude.
Als die Zeit für das Erscheinen des Herrn heranreifte, bildeten die Gestirne glückverheißende
Konstellationen, wobei der starke Einfluß des Sternes Rohini besonders auffällig
war. Dieser Stern gilt als sehr glückbringend. Er steht unter der direkten Aufsicht
Brahmas. Nach der Erkenntnis der Astrologen gibt es neben der normalen Stellung
der Sterne auch günstige und ungünstige Momente, die durch unterschiedliche Stellungen
der verschiedenen Planetensysteme verursacht werden. Zur Zeit der Geburt Krishnas
ordneten sich die Planetensysteme wie von selbst so um, daß ihr Einfluß sehr glückverheißend
wurde.
Zu jener Zeit herrschte überall im Osten, Westen Süden und Norden
eine Atmosphäre des Friedens und des Glücks. Günstige Gestirne waren am Himmel
sichtbar, und auf der Erde zeigten sich in allen Städten und Dörfern, auf allen
Weiden und Wiesengründen und im Geiste eines jeden Zeichen des Glücks. Die Flüsse
schwollen an mit klarem Wasser, und die Seen waren mit farbenprächtigen Lotosblumen
übersät. Überall in den Wäldern waren schöne Vögel und Pflanzen zu sehen. Die
Vögel in den Wäldern hoben nun an, mit lieblichen Stimmen zu singen, und die Pfauen
mit ihren Weibchen tanzten dazu. Der Wind, der den Duft vieler Blumen mit sich
trug, wehte sehr wohltuend und verlieh den körperlichen Sinnen ein angenehmes
Gefühl. Die brahmanas, die seit jeher im Feuer Opfergaben darzubringen
pflegten, sahen, daß in ihren Häusern die Bedingungen für solche Opfer erneut
sehr günstig geworden waren, denn wegen der Verfolgung, die die dämonischen Könige
angeordnet hatten, waren in den Häusern der brahmanas fast keine Feueropfer
mehr durchgeführt worden; doch nun bot sich ihnen auf einmal die Gelegenheit,
das Feuer wieder in Frieden zu entzünden. Als den brahmanas das Darbringen
von Opfern verboten worden war, hatte sich in ihrem Geist, ihrer Intelligenz und
in ihren Tätigkeiten Betrübtheit ausgebreitet; doch zu der Zeit, da Sri Krishna
erscheinen sollte, wurden sie von Freude erfüllt, denn sie konnten deutlich hörbare
Schwingungen transzendentaler Klänge vom Himmel vernehmen, die das Erscheinen
der Höchsten Persönlichkeit Gottes ankündigten.
Die Bewohner der Gandharva- und Kinnara-Planeten begannen zu singen, und die
Bewohner von Siddhaloka und den Planeten der Caranas brachten zur Freude der Persönlichkeit
Gottes Gebete dar. Auf den himmlischen Planeten versammelten sich die Engel zusammen
mit ihren Frauen und den Apsaras und führten bezaubernde Tänze auf.
Die großen Weisen und Halbgötter ließen voller Freude Blumen niederregnen.
An der Meeresküste war das Rauschen sanfter Wellen zu vernehmen, und aus den Wolken
über dem Meer erklang angenehm schallender Donner.
Als
sich alles in solcher Harmonie befand, erschien in der Dunkelheit der Nacht Sri
Visnu, der im Herzen eines jeden Lebewesens gegenwärtig ist, als die Höchste Persönlichkeit
Gottes vor Devaki, die wie eine Halbgöttin anmutete. Das Erscheinen Sri Visnus
zu jener Zeit kann mit dem Vollmond verglichen werden, der am östlichen Horizont
aufging. Man könnte einwenden, es sei nicht möglich, daß der Vollmond zu diesem
Zeitpunkt aufgegangen sei, da Sri Krishna doch am achten Tag des abnehmenden Mondes
erschien. Die Erklärung hierzu lautet wie folgt: Sri Krishna erschien in der Dynastie,
die vom Mond abstammt, und daher konnte der Mond, obwohl er in jener Nacht eigentlich
nur eine Sichel gewesen wäre, durch die Gnade Krishnas als Vollmond erscheinen,
überwältigt von der Freude, daß Krishna in der Dynastie erschien, in der er, der
Mond, selbst der Stammvater war.
In einer astrologischen Abhandlung namens Khamanikya wird die Konstellation
der Gestirne zur Erscheinungszeit Sri Krishnas sehr genau beschrieben. Es wird
dort bestätigt, daß das Kind, das in jenem günstigen Augenblick geboren wurde,
das Höchste Brahman, die Absolute Wahrheit, war.
Vasudeva betrachtete mit Erstaunen das wundervolle Kind, das vier Arme hatte
und in den Händen Muschelhorn, Keule, Feuerrad und Lotosblume hielt. Das Kind
war mit dem Srivatsa-Zeichen geschmückt, trug eine Halskette aus kaustubha-Juwelen,
war in gelbe Seide gekleidet und glänzte wie eine schwärzliche Wolke. Auf
Seinem Kopf befand sich ein Helm, der mit vaidurya-Steinen besetzt
war, Es trug wertvolle Armreife, Ohrringe und viele andere Schmuckstücke überall
auf Seinem Körper, und Sein Gesicht wurde von einer prächtigen Haarfülle umrahmt.
Vasudeva war über die außergewöhnliche Erscheinung des Kindes von Verwunderung
ergriffen. Wie konnte ein neugeborenes Kind so wunderschön geschmückt sein? Er
konnte deshalb verstehen, daß Sri Krishna nun erschienen war, und diese Erkenntnis
überwältigte ihn. Voller Demut fragte sich Vasudeva, wie es möglich sei, daß die
alldurchdringende Persönlichkeit Gottes, Visnu, Krishna, als Kind in Seiner ursprünglichen
Gestalt vor einem gewöhnlichen Lebewesen wie ihm erschien, der er doch unter dem
Einfluß der materiellen Natur stand und sich dazu noch in Kamsas Gefängnis befand.
Kein irdisches Kind wird mit vier Armen geboren, geschmückt mit kostbaren Juwelen
und schönen Kleidern und versehen mit allen Zeichen der Höchsten Persönlichkeit
Gottes. Immer wieder betrachtete Vasudeva sein Kind und überlegte sich, wie er
diesen glücklichen Augenblick würdigen könnte. Er dachte bei sich: "Gewöhnlich
feiert man die Geburt eines männlichen Kindes mit freudvollen Festen und Zeremonien,
und nun wurde mir, obgleich ich gefangen bin, die Höchste Persönlichkeit Gottes
geboren. Wie viele Millionen und Abermillionen Male müßte also ich diese glückverheißenden
Zeremonien durchführen!"
Als Vasudeva, der auch Anakadundubhi genannt wird, sein neugeborenes Kind ansah,
war er so glücklich, daß er den brahmanas viele tausend Kühe als Spende
geben wollte. Nach vedischem System verteilt der König großzügige Spenden, wenn
im ksatriya-Palast eine glückverheißende Zeremonie gefeiert wird. Dabei
werden den brahmanas und Weisen viele mit goldenen Gehängen geschmückte
Kühe geschenkt. Vasudeva wollte ebenfalls eine solche Zeremonie durchführen, um
Krishnas Erscheinen zu feiern, doch weil er von Kamsa in Ketten gelegt worden
war, fehlte ihm jede Möglichkeit dazu. Trotzdem führte er diese Zeremonie durch,
indem er den brahmanas einfach in Gedanken Tausende von Kühen schenkte.
Als Vasudeva überzeugt war, daß das neugeborene Kind die Höchste Persönlichkeit
Gottes war, kniete er mit gefalteten Händen nieder und verbeugte sich, um Ihm
seine Gebete darzubringen. Vasudeva befand sich auf der transzendentalen Ebene
und war von aller Furcht vor Kamsa völlig befreit. Die Ausstrahlung des neugeborenen
Kindes erfüllte den ganzen Raum, in dem Es erschienen war, mit einem hellen Licht.
Vasudeva betete: "O Herr, ich verstehe, wer Du bist. Du bist die Höchste
Persönlichkeit Gottes, die Überseele aller Lebewesen und die Absolute Wahrheit.
Du bist in Deiner ursprünglichen, ewigen Gestalt erschienen, die jetzt von uns
direkt wahrgenommen werden kann, und ich verstehe, daß Du erschienen bist, nur
um mich von der Furcht vor Kamsa zu befreien. Du gehörst nicht zur materiellen
Welt; vielmehr bist Du derjenige, der einfach nur durch einen Blick über die materielle
Natur die kosmische Manifestation erschafft."
Man könnte einwenden, der Höchste Herr, der die gesamte kosmische Manifestation
einfach durch Seinen Blick erschafft, könne nicht im Leib Devakis, der Frau Vasudevas,
erscheinen. Um dieses Argument zu widerlegen, sagte Vasudeva: "Mein lieber
Herr, es ist nicht weiter verwunderlich, daß Du im Leib Devakis erschienen bist,
denn auf dieselbe Weise hast Du auch die Schöpfung durchgeführt. Du lagst als
Maha-Visnu im Ozean der Ursachen, und durch Dein Ausatmen entstanden unzählige
Universen. Daraufhin gingst Du als Garbhodakasayi Visnu in jedes dieser Universen
ein, und dann hast Du Dich in Ksirodakasayi Visnu erweitert und bist auf diese
Weise in die Herzen aller Lebewesen und sogar in die Atome eingegangen. Und so
ist auch Dein Eintreten in den Leib Devakis zu verstehen. Du scheinst in Devaki
eingegangen zu sein, aber gleichzeitig bist Du alldurchdringend. Anhand von Phänomenen,
die wir in der materiellen Welt beobachten, können wir verstehen, wie Du gleichzeitig
in etwas eingehen und trotzdem allgegenwärtig sein kannst. Die gesamte materielle
Energie bleibt selbst dann bestehen, wenn sie in die sechzehn Elemente aufgeteilt
wird. Der materielle Körper ist nichts weiter als eine Verbindung der fünf grobstofflichen
Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Wann immer ein materieller
Körper entsteht, scheint es, als ob die dazu erforderlichen Elemente neu geschaffen
würden; in Wirklichkeit jedoch existieren diese Elemente zu jeder Zeit unabhängig
von den körperlichen Formen, und ebenso existierst Du, obwohl Du als Kind im Leibe
Devakis erscheinst, auch außerhalb von ihr. Du weilst immer in Deinem Reich, aber
dennoch kannst Du Dich gleichzeitig in Millionen von Formen erweitern.
Man muß Dein Erscheinen mit wahrer Intelligenz verstehen, da die materielle
Energie ebenfalls von Dir ausgeht. Du bist die ursprüngliche Quelle der materiellen
Energie, genau wie die Sonne der Ursprung des Sonnenscheins ist. Der Sonnenschein
kann den Sonnenplaneten nicht bedecken, und so kann auch die materielle Energie,
da sie Deine Emanation ist, Dich nicht bedecken. Du scheinst unter dem Einfluß
der drei Erscheinungsweisen der materiellen Energie zu stehen, doch in Wirklichkeit
können Dich diese Erscheinungsweisen nicht bedecken. Alle großen Philosophen bestätigen
dies. Mit anderen Worten, obwohl es so aussieht, als seist Du dem Einfluß der
materiellen Energie unterworfen, kann sie Dich niemals bedecken."
Wir erfahren aus den Veden, daß vom Höchsten Brahman eine Ausstrahlung
ausgeht, wodurch alles erleuchtet wird. Der Brahma-samhita können wir entnehmen,
daß das brahmajyoti (die Brahman-Ausstrahlung) vom Körper des Höchsten
Herrn ausgeht. Aus der Brahman-Ausstrahlung wiederum geht die gesamte Schöpfung
hervor. In der Bhagavad-gita wird gesagt, daß der Herr auch der Erhalter
der Brahman-Ausstrahlung ist. Er ist die ursprüngliche Wurzel alles Existierenden.
Doch Menschen mit geringer Intelligenz denken, Krishna, die Höchste Persönlichkeit
Gottes, nehme materielle Eigenschaften an, wenn Er in der materiellen Welt erscheine.
Schlußfolgerungen dieser Art zeugen nicht von großer Weisheit, und nur die weniger
Intelligenten vertreten solche Auffassungen.
Die Höchste Persönlichkeit Gottes existiert direkt und indirekt
überall; Er weilt außerhalb der materiellen Schöpfung, und gleichzeitig befindet
Er Sich auch in ihr. Er existiert in der materiellen Schöpfung nicht nur als Garbhodakasayi
Visnu, sondern Er ist auch in jedem Atom gegenwärtig. Alles Existierende beruht
auf Seiner Gegenwart. Nichts kann von Seiner Existenz getrennt werden. Aus den
vedischen Unterweisungen erfahren wir, daß sich jeder der Höchsten Seele, der
ursprünglichen Wurzel allen Seins, zuwenden sollte, da nichts unabhängig von Ihr
existiert. Deshalb ist auch die materielle Manifestation eine Umwandlung Seiner
Energie. Sowohl die leblose Materie als auch die Lebenskraft, die Seele, geht
von Ihm aus. Nur törichte Menschen glauben, der Höchste Herr nehme die Eigenschaften
der Materie an, wenn Er erscheine. Selbst wenn Er scheinbar einen materiellen
Körper annimmt, ist Er nicht der Bedingtheit der materiellen Natur unterworfen.
Mit Seinem Erscheinen hat Krishna allen Fehlvorstellungen und Spekulationen über
das Erscheinen und Fortgehen der Höchsten Persönlichkeit Gottes ein Ende bereitet.
"Mein Herr, Dein Erscheinen, Deine Gegenwart und Dein Fortgehen befinden
sich jenseits der materiellen Erscheinungsweisen. Weil Du der Kontrollierende
alles Existierenden und der Ruheort des Höchsten Brahmans bist, ist in Deiner
Person nichts unvorstellbar oder widersprüchlich. Wie Du Selbst gesagt hast, wirkt
die materielle Natur unter Deiner Aufsicht ähnlich wie ein Regierungsbeamter,
der die Anordnungen seines Vorgesetzten befolgt. Die Wirkung Dir untergeordneter
Tätigkeiten kann Dich nicht berühren. Das Höchste Brah-man und die Erscheinungswelt
existieren in Dir, und alle Vorgänge in der materiellen Natur werden von Dir,
o Herr, kontrolliert.
Du wirst suklam genannt. Suklam, die Farbe Weiß, ist die symbolische
Repräsentation der Absoluten Wahrheit, da diese nicht durch materielle Einflüsse
verunreinigt ist. Brahma wird rakta (rot) genannt, weil er für die Erscheinungsweise
der Leidenschaft zuständig ist. Die Dunkelheit gehört zu Siva, weil er den Kosmos
vernichtet. Die Schöpfung, Vernichtung und Erhaltung der kosmischen Manifestation
wird durch Deine Energien bewirkt, doch Du Selbst wirst niemals davon beeinflußt.
Wie in den Veden bestätigt wird (harir hi nirgunah sak-sat), ist
die Höchste Persönlichkeit Gottes immer frei von allen materiellen Erscheinungsweisen.
Ebenso steht geschrieben, daß es in der Person des Höchsten Herrn nicht die geringste
Spur der Erscheinungsweisen der Leidenschaft und Unwissenheit gibt.
O
Herr, Du bist der Höchste Kontrollierende, die Persönlichkeit Gottes, der Absolute,
der die Ordnung der kosmischen Schöpfung aufrechterhält. Und obgleich Du der Höchste
Kontrollierende bist, bist Du dennoch in Deiner Güte vor mir erschienen. Du bist
gekommen, um die Anhänger der dämonischen Herrscher zu töten, die sich als Könige
verkleidet haben, in Wirklichkeit aber Dämonen sind. Ich bin sicher, daß Du sie
alle, zusammen mit ihren Anhängern und Soldaten, töten wirst.
Ich weiß, daß Du erschienen bist, um den barbarischen Kamsa und seine Anhänger
zu töten. Da er wußte, daß Du erscheinen würdest, um ihn und seine Anhänger zu
vernichten, hat er bereits alle Deine Brüder, die vor Dir erschienen sind, ermordet.
Nun wartet er nur noch auf die Nachricht Deiner Geburt. Sobald er davon hört,
wird er mit allen möglichen Waffen erscheinen, um Dich zu vernichten."
Nach diesem Gebet Vasudevas brachte Devaki, die Mutter Krishnas, ihre Gebete
dar. Devaki, die sich sehr vor den Grausamkeiten ihres Bruders fürchtete, sagte:
"Mein lieber Herr, Deine ewigen Formen wie Narayana, Sri Rama, Hayasirsa,
Varaha, Nrsirhha, Vamana, Baladeva und Millionen ähnlicher Inkarnationen, die
von Visnu ausgehen, werden in den vedischen Schriften als ursprünglich beschrieben.
Du wirst als ursprünglich bezeichnet, weil sich all Deine Inkarnationen jenseits
der materiellen Schöpfung befinden. Du existiertest, bevor die kosmische Manifestation
erschaffen wurde, und deshalb sind all Deine verschiedenen Erweiterungen und Inkarnationen
ewig und alldurchdringend. Sie strahlen aus sich selbst heraus, sie unterliegen
keiner Veränderung, und keine materielle Erscheinungsweise kann sie verunreinigen.
Solche ewigen Formen sind immer voller Wissen und voller Glückseligkeit; sie befinden
sich in transzendentaler Tugend, und sie führen fortwährend die verschiedensten
Spiele aus. Du bist nicht auf eine bestimmte Form begrenzt; all Deine transzendentalen
ewigen Erweiterungen und Inkarnationen sind in sich selbst zufrieden. Mir ist
klar, daß Du der Höchste Herr, Sri Visnu, bist.
Nach vielen Millionen von Jahren, wenn Brahmas Leben zu Ende geht, wird die
kosmische Manifestation vernichtet, und die fünf Elemente Erde, Wasser,
Feuer, Luft und Äther gehen in das mahat-tattva ein. Das mahat-tattva
wiederum tritt unter dem Einfluß der Zeit in die nichtmanifestierte Gesamtheit
der materiellen Energie ein. Diese materielle Energie geht in das energetische
pra-dhana ein, und das pradhana geht schließlich in Dich ein. Nach
der Vernichtung der gesamten kosmischen Manifestation existierst nur noch Du zusammen
mit Deinem transzendentalen Namen, Deiner transzendentalen Gestalt, Deinen transzendentalen
Eigenschaften und allem, was mit Dir verbunden ist.
O mein Herr, ich bringe Dir meine respektvollen Ehrerbietungen dar, denn Du
bist der Lenker der gesamten nichtmanifestierten Energie, und Du bist das höchste
Behältnis der materiellen Natur. Mein Herr, die gesamte kosmische Manifestation
steht unter dem Einfluß der Zeit, angefangen von der Dauer eines Augenblickes
bis hin zur Dauer eines Jahres. Alles geschieht unter Deiner Aufsicht. Du bist
der ursprüngliche Lenker alles Existierenden und die Quelle aller Energien.
Die bedingten Seelen fliehen ständig von einem Körper zum nächsten und von
einem Planeten zum anderen, aber dennoch entkommen sie den Angriffen von Geburt
und Tod nicht. Aber wenn ein solches von der Angst verfolgtes Lebewesen unter
den Schutz Deiner Lotosfüße gelangt, findet es Frieden, frei von der Furcht, vom
gnadenlosen Tod angegriffen zu werden." Diese Worte Devakis werden in der
Bhagavad-gita vom Herrn Selbst bestätigt. Er sagt dort, daß man durch das
ganze Universum reisen kann, von Brahmaloka bis Patalaloka, daß man aber trotzdem
dem Angriff von Geburt, Tod, Krankheit und Alter nicht entkommen kann. Wer jedoch
in das Königreich Gottes gelangt, sagt der Herr, ist niemals mehr gezwungen, in
die materielle Welt zurückzukehren.
"Daher bitte ich Dich, o Herr, errette mich aus der Gewalt des grausamen
Kamsa, des Sohnes von Ugrasena. Ich bete zu Dir, daß Du mich aus diesem angstvollen
Zustand befreien mögest, denn Du bist immer bereit, Deinen Dienern Schutz zu gewähren."
Der Herr hat diese Feststellung in der Bhagavad-gita bestätigt, als Er
Arjuna versicherte: "Der ganzen Welt kannst du verkünden, daß Mein Geweihter
niemals vergeht."
Während Mutter Devaki so um Schutz betete, wurde ihre mütterliche Liebe deutlich:
"Ich weiß, daß Deine transzendentale Gestalt im allgemeinen nur von den großen
Weisen in tiefer Meditation geschaut werden kann; aber dennoch befürchte ich nun,
wo Du erschienen bist, daß Kamsa Dir Leid zufügen könnte, sobald er davon erfährt.
Daher bitte ich Dich, vorerst für unsere materiellen Augen unsichtbar zu werden."
Mit anderen Worten, sie bat den Herrn, die Gestalt eines gewöhnlichen Kindes anzunehmen.
"Der einzige Grund, warum ich meinen Bruder Kamsa fürchte, bist Du. O Madhusudana,
Kamsa weiß vielleicht noch nicht, daß Du geboren wurdest. Daher bitte ich Dich,
Deine herrliche vierarmige Gestalt zu verbergen, die die vier Symbole Visnus
Muschelhorn, Feuerrad, Keule und Lotosblume hält. Lieber Herr, am Ende
der Vernichtung der kosmischen Manifestation nimmst Du das gesamte Universum in
Deinen Leib auf, und dennoch bist Du in Deiner reinen Barmherzigkeit in meinem
Schoß erschienen. Ich kann es kaum fassen, daß Du wie ein gewöhnliches menschliches
Wesen auftrittst, nur um Deine Geweihten zu erfreuen."
Nachdem der Herr die Gebete Devakis angehört hatte, antwortete Er: "Meine
liebe Mutter, im Zeitalter des Svayambhuva Manu lebte Mein Vater, Vasudeva, als
einer der Prajapatis, und damals hieß er Sutapa, und du warst seine Frau mit Namen
Prsni. Als Brahma wünschte, die Bevölkerung zu vermehren, bat er euch, Nachkommenschaft
zu zeugen. Daraufhin habt ihr euch darin geübt, eure Sinne zu beherrschen, und
ihr habt strenge Entsagung auf euch genommen. Indem ihr die Atemübungen des yoga-Systems
praktiziertet, wurdet ihr fähig, alle Einflüsse der materiellen Gesetze zu ertragen:
Regenzeiten, Sturmwinde und die glühende Hitze der Sonne. Ihr befolgtet alle religiösen
Prinzipien und konntet auf diese Weise euer Herz reinigen und den Einfluß der
materiellen Gesetze überwinden. Ihr lebtet in völliger Entsagung und habt euch
nur von zu Boden gefallenen Blättern ernährt. Als ihr dann Ausgeglichenheit des
Geistes und Freiheit von sexuellen Drängen erlangtet, habt ihr Mich mit dem Wunsch
verehrt, eine außergewöhnliche Segnung zu erhalten. Nach der Zeitrechnung der
Halbgötter habt ihr zwölftausend Jahre lang strenge Bußen auf euch genommen. Während
dieser Zeit waren alle eure Gedanken immer in Mich vertieft. Als ihr Mir in Hingabe
dientet und ohne Unterlaß an Mich dachtet, war Ich über euch sehr erfreut. O sündlose
Mutter, dein Herz ist deshalb immer rein. Auch zu jener Zeit erschien Ich in dieser
Gestalt vor dir und fragte dich nach deinen Wünschen. Damals hast du den Wunsch
geäußert, Mich als deinen Sohn zu bekommen. Du sahst Mich persönlich und hättest
Mich um vollkommene Befreiung aus der materiellen Knechtschaft bitten können,
aber statt dessen hast du Mich, unter dem Einfluß Meiner Energie, gebeten, dein
Sohn zu werden."
So wählte Sich der Herr Prsni und Sutapa zu Seinen Eltern, um in der materiellen
Welt zu erscheinen. Wann immer der Herr in der Gestalt eines menschlichen Wesens
in die materielle Welt hinabsteigt, muß Er jemanden als Vater und jemanden als
Mutter haben, und so wählte Er Prsni und Sutapa als Seine ewigen Eltern. Aus diesem
Grunde konnten Prsni und Sutapa den Herrn nicht um Befreiung bitten. Befreit zu
werden ist nicht so wichtig, wie dem Herrn in transzendentaler Liebe zu dienen.
Der Herr hätte Prsni und Sutapa augenblickliche Befreiung gewähren können, doch
Er zog es vor, daß sie in der materiellen Welt blieben, damit sie bei Seinen verschiedenen
Erscheinungen dabeisein konnten, wie dies im folgenden erklärt wird. Nachdem Prsni
und Sutapa vom Herrn die Segnung empfangen hatten, Seine Eltern zu werden, beendeten
sie ihre Entsagungen und Bußen und lebten als Mann und Frau zusammen, um ein Kind
zu zeugen, das die Höchste Persönlichkeit Gottes Selbst sein sollte.
Nach
einiger Zeit wurde Prsni schwanger und brachte das Kind zur Welt. Der Herr sprach
weiter zu Devaki und Vasudeva: "Zu jener Zeit war Mein Name Prsnigarbha.
Im nächsten Zeitalter wurdet ihr als Aditi und Kasyapa geboren, und Ich wurde
euer Kind mit dem Namen Upendra. Meine Gestalt glich der eines Zwerges, und deshalb
wurde Ich auch Vamanadeva genannt. Ich gab euch die Segnung, dreimal als euer
Sohn zu erscheinen. Das erste Mal wurde Ich von Prsni und Sutapa als Prsnigarbha
geboren; bei der nächsten Geburt hieß Ich Upendra, und ihr wart Aditi und Kasyapa,
und nun erscheine Ich zum dritten Mal als euer Sohn, als Krishna, der Sohn Devakis
und Vasudevas. Ich erschien in dieser Visnu-Gestalt, um euch davon zu überzeugen,
daß Ich die gleiche Höchste Persönlichkeit Gottes bin. Ich hätte auch als ein
gewöhnliches Kind erscheinen können, doch dann hättet ihr nicht geglaubt, daß
dieses Kind aus deinem Schoß die Höchste Persönlichkeit Gottes ist. Meine lieben
Eltern, ihr habt Mich viele Male mit großer Zuneigung und Liebe als euer Kind
aufgezogen, und daher bin Ich sehr zufriedengestellt. Ich danke euch, und Ich
versichere euch, daß ihr dieses Mal zurück nach Hause, zurück zu Gott, gehen werdet.
Ich weiß, daß ihr um Mich besorgt seid, denn ihr fürchtet Kamsa. Bringt Mich deshalb
sofort nach Gokula und tauscht Mich gegen die Tochter aus, die gerade von Yasoda
geboren wurde."
Nachdem der Herr so zu Seinem Vater und zu Seiner Mutter gesprochen hatte,
nahm Er die Gestalt eines gewöhnlichen Kindes an und lag schweigend da.
Um
der Anweisung der Höchsten Persönlichkeit Gottes Folge zu leisten, traf Vasudeva
sofort alle notwendigen Vorkehrungen, um mit seinem Sohn das Gefängnis, den Schauplatz
Seiner Geburt, zu verlassen. Gerade in jener Stunde wurde Nanda und Yasoda in
Gokula eine Tochter geboren. Es war Yogamaya, die innere Energie des Herrn, und
durch ihren Einfluß wurden alle Bewohner im Palast Kamsas, vor allem die Torwächter,
von tiefem Schlaf übermannt. Alle Palasttore öffneten sich, obwohl sie mit eisernen
Ketten verschlossen waren. In dieser Nacht herrschte tiefste Finsternis, doch
als Vasudeva mit Krishna auf dem Arm in die Nacht hinaustrat, wurde alles hell
erleuchtet, als ob die Sonne schien.
Im Caitanya-caritamrta wird gesagt, daß Krishna wie das Sonnenlicht
ist und daß dort, wo Krishna ist, die illusionierende Energie, die mit Dunkelheit
verglichen wird, nicht standhalten kann. Als Vasudeva Krishna trug, wich die Dunkelheit
der Nacht. Alle Gefängnistüren öffneten sich wie von selbst. Zur gleichen Zeit
erschallte ein Donnern am Himmel, und schwerer Regen setzte ein. Während Vasudeva
seinen Sohn Krishna durch den prasselnden Regen trug, breitete Sesa in der Gestalt
einer Schlange seine Häupter über dem Kopf Vasudevas aus, so daß der Regen ihm
nichts anhaben konnte. Als Vasudeva zum Ufer der Yamuna kam, sah er, daß diese
mit schäumenden Wogen dahinbrauste. Dennoch gab der Fluß, obwohl er so wild erschien,
eine Furt frei, damit Vasudeva ungehindert ans andere Ufer gelangen konnte, genau
wie auch der Indische Ozean einmal einen Weg für Sri Rama freigegeben hatte. Auf
diese Weise überquerte Vasudeva die Yamuna. Als er das Haus Nanda Maharajas in
Gokula erreichte, sah er, daß alle Kuhhirten in tiefem Schlaf lagen. Schnell nutzte
er die Gelegenheit, betrat leise das Haus von Yasoda und vertauschte seinen Sohn
mit dem neugeborenen Mädchen Yasodas. Daraufhin kehrte er zum Gefängnis Kamsas
zurück, legte das Mädchen vorsichtig auf den Schoß Devakis und legte sich die
Fesseln wieder an, damit Kamsa nicht bemerken konnte, daß in der Zwischenzeit
so vieles geschehen war.
Mutter Yasoda war sich bewußt, daß sie ein Kind zur Welt gebracht hatte, aber
weil sie von der Anstrengung der Geburt sehr erschöpft war, lag sie in tiefem
Schlaf. Als sie erwachte, konnte sie sich nicht mehr erinnern, ob sie ein männliches
oder ein weibliches Kind geboren hatte.
Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 3. Kapitel des Krishna-Buches
"Die Geburt Sri Krishnas".
Krishna
- Die Quelle aller Freude 1 (pdf 1,24 MB) -- Krishna
- Die Quelle aller Freude 2 (pdf 1,26 MB)
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