E. Burke Rochford, Jr. mit Jennifer Heinlein:
Child Abuse in the Hare Krishna Movement:
1971-1986 (Kindesmißhandlung in ISKCON
in den Jahren 1971 bis 1986) (ISKCON
Communications Journal, Bd. 6, Nr. 1,
Juni 1998, S. 43-69)
Im Bhaktivedanta Gurukul-Internat in Brindaban.
Die Kinder aus verschiedenen Ländern tragen die
gelbe Brachmachari-Kleidung der ISKCON-Novizen.
Foto: Anders Blichfeldt
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Iskcon Kinder in der Internat Schule von Vrindaban,
India
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1. Der Autor ist Professor für Soziologie am Middlebury College
in Vermont, USA. Er war selbst im Jahre 1979 Hilfslehrer (teacher's assistant)
an der ISKCON Internatsschule (gurukula) in Los Angeles (S. 64), was aber nicht
heißt, daß er eine Lehrerausbildung genossen hat, denn zur Arbeit in den gurukulas
wurden die Mitglieder abgestellt, die sonst zu nichts nutze waren (S. 53). Seit
1989 führt er Untersuchungen an der zweiten Generation der ISKCON-Anhänger durch
(S. 64).
2. Gegenstand seiner Untersuchung ist Kindesmißhandlung in gurukulas in den Jahren
1971 bis 1986, wobei es jedoch nicht um Täter und Taten geht, sondern um Strukturen,
die diese Taten begünstigten oder förderten.
3. Als Kindesmißhandlung gilt (S. 63)
3.1 körperliche Mißhandlung (schwierige Abgrenzung zu <notwendiger> "Züchtigung").
[Im folgenden Aufsatz von Bharata Shrestha Das werden genannt: Prellungen bzw.
blaue Flecken (bruises), verlorene Zähne, gebrochene Nasen, Narben von Stockschlägen,
wiederholter sexueller Mißbrauch und sogar homosexuelle Vergewaltigung
mit vorgehaltener Waffe, S. 73].
3.2 sexueller Mißbrauch (von Kinderpornographie bis Sodomie [sic! Gemeint ist
Päderastie]),
3.3 psychische Mißhandlung (z. B. das Einflößen von Angst vor überirdischen sowohl
wie menschlichen Autoritäten, S. 47 f, oder der Zwang, Zeuge der körperlichen
Mißhandlung anderer Kinder zu werden, S. 48) sowie
3.4 körperliche und seelische Vernachlässigung [Bharata Shrestha Das (William
G. Wall) nennt die Nicht-Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten, S. 73].
4. Grundthese ist, daß Religionen gemeinhin Kindesmißbrauch "begünstigen, fördern
und rechtfertigen" (S. 43) können. Als Beispiel wird die jüdischchristliche Tradition
genannt, in der Züchtigung des als von der Erbsünde belastet geltenden Kindes
notwendig und legitim erscheint (S. 45).
5. Gurukulas sollten nach dem Willen Prabhupadas, des Gründers von ISKCON, im
Gegensatz zu den öffentlichen amerikanischen Schulen, die zu Sinnenlust und geistiger
Spekulation erziehen (sic! Wo doch jede Religion spekulativ ist, d. h. auf einem
Denken beruht, das jeden Erfahrungsbezug überschreitet), zu spirituellem Leben
und damit zu Göttlichkeit ("Godhead", gemeint ist wohl ein gottgefälliges Leben
oder eine gottgefällige Denkweise) erziehen. Dazu diente in erster Linie die Kontrolle
der Sinne. Diese wiederum war wegen der Liebesbande innerhalb der Familie dort
nicht zu erreichen. Deshalb wurden die Kinder im Alter von vier oder fünf Jahren
in gurukulas zusammengefaßt (S. 46).
Die erste gurukula in den USA wurde 1971 in Dallas, Texas gegründet. Diese wurde
1976 von den Behörden geschlossen (Gründe werden nicht genannt). Von 1975 bis
1978 wurden insgesamt elf gurukulas in Nordamerika gegründet, weitere in Frankreich,
Australien, Südafrika England und Schweden. Seit 1986 gibt es in Amerika keine
solchen Schulen mehr als Internatsschulen, sondern nur noch als Tagesschulen.
Die einzige Ausnahme ist die Vaisnavas Academy für Mädchen in Alachua, Florida,
die neben Tagesschülerinnen auch Internatsschülerinnen hat. Zwei weitere ISKCON-Internatsschulen
sind in Vrindavan und Mayapur, Indien. ISKCON-Kinder in Nordamerika besuchen heutzutage
mehrheitlich öffentliche Schulen (S. 46 f).
6. Die Ausstattung der gurukulas mit Personal und Sachmitteln war abhängig von
der Einschätzung durch die Führungsebene von ISKCON.
6.1 Anfänglich standen Prabhupada und die ISKCON der Ehe positiv gegenüber. Mitte
der 70er Jahre bereits galt Ehe als Zeichen spiritueller Schwäche, als Zugeständnis
für diejenigen, die ihren Sexualtrieb nicht beherrschen konnten (S. 49). Dennoch
heirateten die meisten Anhänger von ISKCON, um 1980 waren etwa 50% verheiratet,
heutzutage etwa 85% (S. 50). Bis Anfang der 80er Jahre galten Kinder von ISKCON
-Familien als spirituell rein, ihre Seelen hatten es ja immerhin bis zu einer
Wiedergeburt innerhalb einer ISKCON-Familie gebracht. Ab Mitte der 80er Jahre,
also als diese Kinder heranwuchsen, galten sie jedoch als wenig mehr als außerhalb
stehende Heiden (S. 50). Beide Einstellungen dienten als Grund, sich nicht um
die gurukulas zu kümmern. (S. 51).
6.2 Die wachsende Zahl der Ehen und Kinder bedrohte die Effektivität von sankirtan,
also des Verteilens von Büchern und Einsammelns von Spenden, und damit ISKCON
allgemein. Gurukulas dienten vornehmlich dazu, Eltern freizustellen für sankirtan
(S. 51 f ). Wegen der Vordringlichkeit der Pflichten im Tempel mußten die Kinder
auch bei Besuchen bei den Eltern zurückstehen (Vernachlässigung, S. 57 f)
7. Diese Einstellung bestimmte die Ausstattung der gurukulas mit Personal und
Sachmitteln.
7.1 Die Unterrichtenden waren meist dafür nicht ausgebildet, oft fehlte es ihnen
an Interesse und Begabung für diese Arbeit, überdies war ihre Zahl zu gering.
Ihre Frustration entlud sich in Gewalt (S. 53). Wenn sie an anderer Stelle gebraucht
zu werden schienen, zögerten die Leiter nicht, sie sofort wieder von der gurukula
abzuziehen (S. 53 f ). So konnten die Kinder kein vertrauensvolles Verhältnis
zu einer Bezugsperson aufbauen, wodurch sie psychische Schäden davontrugen.
7.2 Die materielle Ausstattung der gurukulas war von Anfang an eher dürftig, wurde
aber katastrophal, als die Einnahmen von ISKCON im Jahre 1982 auf die Hälfte dessen
zurückgefallen waren, was sie in ihrem besten Jahr, 1978, eingenommen hatten (S.
55). Überdies nahmen die Diadochenkämpfe innerhalb der Organisation nach Prabhupadas
Tod 1977 die ganze Aufmerksamkeit der Leiter in Anspruch. Auch dies führte zu
Frustration der Lehrkräfte.
7.3 Es mangelte an Schulaufsicht. Es gab zwar einen ISKCON-Erziehungsminister,
aber er kümmerte sich nicht genügend, wenn Eltern sich über Zustände in einer
gurukula beklagten, fanden sie kein Gehör (S. 55 f), die Vorfälle wurden vertuscht.
7.4 Mitarbeit der Eltern in den gurukulas war eher unerwünscht (S. 56 f). Wo es
sie gab, waren die Eltern in der Lage, für bessere Verhältnisse zu sorgen.
8. All dies führte zu einem Klima, in dem jede Form der Kindesmißhandlung gedieh.
Weniger gefährdet waren nur Kinder in gurukulas, wo die Eltern sich nicht ausschließen
ließen (S. 59), oder solche, die in der Hierarchie hochstehende Beschützer hatten
(S. 60).
9. Das genaue Ausmaß solcher Vorkommnisse ist nicht bekannt, da keine Statistiken
geführt wurden (S. 47).
Bharata Shrestha Das: ISKCON's Response to Child Abuse:
1990-1998
(ISKC0Ns Reaktionen auf Kindesmißhandlungen in den Jahren 1990 bis 1998)
(ISKCON Communications Journal, Band 6, Nr. 1, Juni 1998, S. 71-79)
Dieser Artikel bildet die Fortsetzung des Beitrags von Rochford, teilweise überschneiden
sich die Inhalte.
1. Der Autor heißt mit bürgerlichem Namen William G. Wall
(Bharata Shrestha Das), hat in Literatur promoviert und an verschiedenen Lehranstalten,
meist an ISKCON-Schulen, unterrichtet.
Bharata Shrestha Das (William G. Wall) joined ISKCON in 1983 and was initiated
in 1988 by Srila Acharyadeva
?
2. Ende der 90er Jahre mußte sich eine dezimierte und orientierungslose ISKCON
den Vorwürfen der Kindesmißhandlung stellen. Die Versammlung der Governing Body
Commission (GBC) in Indien 1990 verabschiedete daher die Resolution Nr. 119, in
der die Vorgehensweise im Falle von behaupteter oder erwiesener Kindesmißhandlung
festgelegt wurde, die aber keine Zwangsmaßnahmen zu ihrer Durchsetzung enthielt,
keine Vorschläge für die Behandlung der Opfer und keine Vorschläge für Maßnahmen
zur Vorbeugung für die Zukunft, sondern im Wesentlichen die Vorgehensweise gegen
den Täter regelte. Das Verfahren wurde in die Hände der lokalen Organisation gelegt,
die aber oft überfordert war.
3. Anfang der 90er Jahre wurde ein Fall von Kindesmißhandlung in Chicago nach
diesen Richtlinien behandelt. Danach wurde das Problem weiteren ISKCON-Kreisen
bewußt. Die meisten Gemeinden bildeten Kinderschutzgruppen (Child Protection Teams,
CPTs).
4. Bei der GBC-Versammlung, in Florida Mai 1996 berichteten Absolventen verschiedener
gurukulas von ihren Erfahrungen als Opfer. Teilnehmer der Versammlung gründeten
die Organisation "Children of Krishna", die "die Erziehung sowie die wirtschaftliche,
emotionale und spirituelle Förderung der Kinder der Hare-Krishna-Bewegung unterstützen,
fördern und schützen" soll (S. 74). Diese Organisation wird hauptsächlich bei
der Vergabe von Stipendien für die weitere Ausbildung nach der Schule und für
die Therapie von Opfern von Kindesmißhandlung. tätig.
5. Andere junge Leute gründeten eine Internet-Seite namens "VOICE"
( http://www.voice.com
), in der Fälle von Kindesmißhandlung veröffentlicht werden. Dieses Unternehmen
war der bedeutsamste Faktor im Erkennen der Problematik und der Verantwortung
jedes Einzelnen (S. 74).
6. Etwa 1997 wurde eine GBC-Einsatzgruppe gegründet, die auch Vorfälle der Vergangenheit
aufklären sollte und die ihre Ergebnisse dem Jahrestreffen der GBC 1998 vorlegte.
Ihre Empfehlungen führten zur neuen Kinderschutzpolitik der ISKCON (S. 74). Danach
wurden zwei Täter ihrer Ämter enthoben und aus allen ISKCON-Gemeinden ausgeschlossen
(S. 75).
7. Insgesamt muß man jedoch eine mangelhafte Verwirklichung der Vorschläge konstatieren.
Gründe dafür könnten sein (S. 7).
7.1 Reste der "enthaltsamen Elite", die Kindesmißhandlung für ein Problem der
Familienväter halten, das sie nichts angeht -,
7.2 die allgemeine Trägheit, die dazu fährt, daß ein Problem nur angegangen wird,
wenn in der eigenen Gemeinde ein schwerwiegender Vorfall dazu zwingt;
7.3 schlichtweg weit verbreitete Unkenntnis des Problems trotz Internet).
8. Bewußtmachung des Problems wird angestrebt durch eine Reihe von Schriften mit
weiter Verbreitung.
9. Verfasser gibt seiner Hoffnung Ausdruck, daß diese Programme greifen werden,
und vergleicht mit den amerikanischen Pfadfindern, bei denen etwa zur gleichen
Zeit das gleiche Problem aufgetauchte, das dort aber bereits zufriedenstellend
gelöst sei (S. 77 f).
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William G. Wall (Bharata Shrestha Das) Biography:
My
initiated name is Bharatasrestha dasa. I was initiated in Alachua, Florida in
November 1988. I became interested in Krishna Consciousness in 1983, when I lived
near Cleveland. I continued my interest spending most college breaks at the Toronto
temple. I met Srila Acharyadeva when I lived in New Haven, which is where I was
living when he accepted me as a disciple. I served him and his projects while
in graduate school, and I was one of the original people to help him start the
Institute for Vaisnava Studies (IVS) at GTU in Berkeley. I also was involved in
the ISKCON Ministry of Education, working on the overall principles and the specifics
of K-12 schools and accreditation of those schools. When IVS began to fail due
to financial woes, I moved to Alachua, where I was one of the founders of the
Alachua Learning Center charter public school, located on the farm but publicly
funded and considered a public school.
William G. Wall, PhD.
Professor of Rhetoric & Literature