Tor zur spirituellen Welt
Hare Krishna Tempel Portal
Hare Krishna - Hare Rama
Hare Krishna - Hare Krishna * Krishna Krishna Hare Hare * Hare Rama - Hare Rama * Rama Rama Hare Hare.

Mein Ausstieg aus der ISKCON
von Steven J. Gelberg (Subhananda das) 1991
leicht gekürzte version (read original in English)


Steve Gelberg
(Subhananda das) war 17 Jahre lang Mitglied der ISKCON, und war meiste Zeit Mitglied des "Schreiberteams" im ISKCON-eigenen Verlag "Bhaktivedanta Book Trust".

Nach seinem Ausstieg 1986 erwarb Steve am Theologischen Seminar in Harvard einen Magistertitel im Fach Vergleichende Religionswissenschaft. Den Aufsatz "On Leaving ISKCON" (etwa: Über den Ausstieg bei ISKCON; Warum ich die ISKCON verließ) verfaßte Steve 1992, um seine Gedanken mit anderen zu teilen, die die ISKCON verlassen hatten, und mit denen, die sich mit dem Gedanken tragen, dies zu tun.

Mein Ausstieg aus der Iskcon - von Steven J. Gelberg, 1991

Als Prabhupada einst voraussagte, daß 90 % seiner Schüler die Bewegung dereinst verlassen würden, waren wir, seine Schüler, darüber geschockt, daß so etwas überhaupt möglich sein sollte. Doch im Laufe der Zeit hat der Großteil derjenigen, die ihm folgten, die ISKCON tatsächlich verlassen, und es hat den Anschein, als würde dies bei den "Nachfahren" seiner Anhänger genauso sein. Da dieser "Exodus" von ISKCON-Mitgliedern immer weiter anhält, gibt es inzwischen bei weitem mehr ehemalige Mitglieder als aktive, und dieses Mißverhältnis wird im Laufe der Jahre nur noch stärker hervortreten. Es existiert folglich eine beachtliche und ständig wachsende Gruppe von Menschen, die alle eins gemeinsam haben: eine gemeinsame Erfahrung, welche man nur als traumatisch bezeichnen kann.

Es gibt wohl kaum etwas Schmerzvolleres und potentiell Verstörenderes als den Bruch mit einer religiösen Gemeinschaft oder Tradition, an welche man Jahre seines Lebens verschenkt hat. Der Bruch mit einem umfassenden Glaubenssystem, welches das eigene Denken und Handeln geformt hat, der Bruch mit einer Gemeinschaft, welche das soziale Umfeld und die eigene Identität festgelegt hat, der Bruch mit einer Lebensweise, welche eine regelrechte Form des Seins darstellt - eine solche Erfahrung birgt weitreichende Folgen, insbesondere dann, wenn die Gemeinschaft/Tradition, mit der man bricht, sich selbst begreift als Gralshüterin des Guten, des Lebenssinns, der Wahrheit, der Moral und aller menschlichen Errungenschaften. In psychologischer Hinsicht kann es sehr viel abverlangen, sich innerlich als auch äußerlich vollkommen neu zu orientieren. Um diese einzigartige innere Quelle wiederzuentdecken, aus der man seinen Lebenssinn, seine innere Wahrheit und seine Spiritualität schöpft, um sie neu zu beanspruchen und wahrhaft aus seinem tiefsten Inneren zu leben, ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich erforderlich. Was "Äußerlichkeiten" betrifft, da müssen wir lernen, wie man in der Außenwelt zurechtkommt, jenem riesigen Gebiet, das außerhalb unserer spirituellen Enklave liegt - jenem Ort, der uns so lange als düster und böse, als unbewohnbar gegolten hat. Sehr häufig verbleiben Devotees, die in der Organisation nicht mehr glücklich sind, ganz einfach deswegen in der ISKCON, weil sie vor der bösen Außenwelt Angst haben.

Die Rückbesinnung auf das eigene Selbst und der Wiedereintritt in die "normale" Welt ist keine einfache Aufgabe, und sie wird leichter durch die Unterstützung von Menschen, die Ähnliches durchgemacht haben. Auf meinem eigenen Weg habe ich solche Unterstützung erfahren, und nun ist es mein Wunsch, diese Hilfe anderen zuteil werden zu lassen.

Obwohl ich in den letzten sechs Jahren wenig mit der ISKCON zu tun hatte, fühle ich mich den Devotees [den ISKCON-Jüngern], den ehemaligen und den jetzigen, auf eine gewisse Weise verbunden. Wie könnte ich nicht? Volle 17 Jahre meines Lebens (18 bis 35 - meine Jugend!) habe ich dem Krishna-Bewußtsein gewidmet, in der Gemeinschaft von Devotees, die eine ähnlich starke Hingabe hatten. Praktisch mein gesamter Freundes- und Bekanntenkreis bestand aus Devotees. Fast bis zum Ende hatte ich nicht den geringsten Zweifel; ich würde ISKCON-Jünger bleiben bis ich sterbe (mit einem Nachruf in der [ISKCON-Zeitschrift] "Back to Godhead" über eine halbe Seite). Ich nahm Prabhupadas Lehren zutiefst in mich auf und predigte sie mit Enthusiasmus, voll Vertrauen auf ihre absolute Wahrhaftigkeit und darauf, daß sie tatsächlich funktionierten. Ich setzte alles daran, damit sich meine Mit-Devotees in die Vaishnava-Spiritualität [die Spiritualität der Vishnu-Religion] noch stärker versenken konnten (indem ich Bücher wie "The Spiritual Master and the Disciple" und "Namamrta: The Nectar of the Holy Name" herausgab); und ich bemühte mich, bei Intellektuellen und Gelehrten Respekt und Wertschätzung für die ISKCON hervorzubringen (indem ich beispielsweise das Buch "Hare Krishna Hare Krishna" verfaßte, ein Buch mit einer Sammlung von Interviews).

Obwohl meine Art zu denken und mein Wesen sich seit dem Ausstieg bei der ISKCON beträchtlich gewandelt haben, kann ich dennoch alle meine Brüder und Schwestern nicht vergessen, die mit mir die Erfahrung von ISKCON und/oder die Erfahrung des Krishna-Bewußtseins gemacht haben: die älter werdenden "Jünger der ersten Stunde", diejenigen, die später dazustießen, und die "Flüchtlinge" und "Ausgestoßenen" ebenso. Ich umarme euch alle, Bekannte und Unbekannte, Schwestern und Brüder, Gefährten auf einem gemeinsamen Weg. Wir müssen wohl alle etwas gemeinsam haben, das uns trotz all unserer Verschiedenheiten im Wesen auf den Pfad des Krishna-Bewußtseins führte - ein ähnliches Karma, eine ganz besondere spirituelle Ausrichtung, einen bestimmten Grad an Aufrichtigkeit - irgend etwas, das dazu führte, daß sowohl du als auch ich auf demselben Pfad landeten, auf einem Pfad, dem sonst nur wenige gehen.

Ich trat, ebenso wie du, in die Bewegung ein, weil ich verzweifelt wissen wollte, was um alles in der Welt in diesem Universum vor sich geht, ob diesem Wahnsinn eine Ordnung zugrunde liegt, um von der WAHRHEIT angerührt und verwandelt zu werden, um Frieden und Freude zu erfahren, um meinen verfaulenden Körper und meinen verwirrten Geist hinter mir zu lassen und aufzusteigen in eine sublime Transzendenz. Wie du fühlte ich eine unerklärliche Anziehung zu dem überirdisch schönen Knaben mit der blauen Haut, Krishna, zu dem eigenartig schönen Klang des Hare-Krishna-Mantras (das man so selten hört!), zu dem Gefühl, daß man einen weiteren Schritt macht hin zur Befreiung aus dieser so unvollkommenen materiellen Welt (einmal ganz abgesehen von Blumenkohl-Pekoras und süßem Reis). Hin und wieder kostete ich, ebenso wie du, spirituelle Glückseligkeit - Gefühle, die sich der Beschreibung durch Worte entziehen. Deswegen empfinde ich notwendigerweise eine besondere Verbundenheit mit dir, und ich entbiete dir meine aufrichtigen Grüße und meine Zuneigung, wer immer du auch sein magst.

Ich schreibe diese Zeilen, weil ich weiß, daß einige von euch, oder viele von euch, oder vielleicht die meisten von euch Zeiten durchleben, in denen sie an der Wahrhaftigkeit des Krishna-Bewußtseins zweifeln, oder zumindest an der Bedeutung, die das Krishna-Bewußtseins für eurer Leben und für eure eigene spirituelle und seelische Weiterntwicklung hat. In den letzten Jahren meiner Mitgliedschaft in der Bewegung wurde zumindest ich von starken Zweifeln getrieben. Und ich weiß, daß, trotz der Behauptung, das dem nicht so wäre, starke Motive bestehen können, seine Zweifel nicht in der Gegenwart von anderen Devotees laut werden zu lassen (Verlust des Ansehens bei den anderen Devotees, zum Beispiel) oder sie sich auch nur selbst einzugestehen (Verlust der Selbstachtung, Eingeständnis persönlichen Scheiterns, das Gefühl, alles fiele auseinander etc.).

Zweifel können jedoch die Stimme des inneren Selbst sein; das höhere Selbst, das nicht immer mit dem von außen aufgedrückten "System" des Krishna-Bewußtseins harmonisiert, und sich gegen die Tatsache, verformt und verbogen zu werden, zur Wehr setzt. Ganz gleich, wie sehr man sich auf die äußere Autorität der ISKCON verläßt (und auf die spirituelle Tradition, der die ISKCON entstammt) - wird das innere Selbst nicht angesprochen, respektiert, geachtet, wenn man dem inneren Selbst keinen Platz räumt, wenn man der inneren Stimme keine Möglichkeit gibt, sich auszudrücken, wird sie sich früher oder später in Protest erheben. Wenn die innere Stimme sich erhebt, zunächst noch leise, kann man sie zunächst noch zum Schweigen bringen durch rigideres Denken, lauteres Singen, stärkere Geschäftigkeit oder die Behauptung, sie wäre einfach nicht da. Aber nach einer Weile wird sie wieder dasein, unerbittlich, etwas lauter diesmal, etwas beharrlicher, und zwar so lange, bis du ihr einfach zuhören mußt.

Ich möchte nun gern einige Fragen aufgreifen, die mir meine "innere Stimme" gestellt hat, und sie mit Hilfe meiner "äußeren" Stimme beantworten. Ich verfolge dabei keine böse Absicht. Ich bin kein "Sekten-Gegner" (anti-cultist) und gehöre auch keiner anderen Spezies ideologischer Kreuzzügler an. Ich habe kein Interesse, einen Klub, eine Organisation, eine Revolution oder irgendeine andere weltbewegende Unternehmung zu begründen. Die einzige Befriedigung, die ich persönlich darin finde, ist daß ich Dinge aussprechen kann, die meiner Meinung nach einmal gesagt werden müssen, und zwar gegenüber alten Freunden und gegenüber Freunden, die ich jetzt noch nicht kenne. Ich hoffe, daß Sie mir bereitwillige Zuhörer sind.

Nachfolgend möchte ich Ihnen einige der Gründe erläutern, aus denen ich (und meine Frau, Sitarani) die ISKCON verließen, nachdem wir der Organisation so viele Jahre (insgesamt 25 Jahre lang) voller Hingabe gedient hatten.

 

 Wo sind die reinen Gottgeweihten?

Bei rückwirkender Betrachtung muß ich sagen: meine schleichende Desillusionierung über die ISKCON wurde wohl ursprünglich dadurch in Gang gesetzt, daß - gemessen an ihren eigenen Maßstäben - die ISKCON als spirituelle Bewegung ganz einfach versagt hatte; ein Gedanke, der mir mit der Zeit immer stärker zu Bewußtsein drang. Unbestreitbar, immer stärker trat zu Tage, daß die Bewegung ihr vorgebliches Ziel einfach nicht erreichte: Menschen zu "reinen Gottgeweihten" zu machen – diejenigen , die die Religion mit Ernsthaftigkeit praktizieren, mit Geschick und erfolgreich zu jenen sublimen Erleuchtungszuständen zu führen, die in der Bhagavad-Gita und im Bhagavatam so ausführlich beschrieben werden, und von denen im Religionsunterricht immer und immer wieder die Rede ist.

Natürlich findet man Devotees, die einen friedvollen Eindruck machen, zufrieden sind, voll aufrichtiger Überzeugung, im Hochgefühl, enthusiastisch und so weiter. Natürlich spüren die meisten Devotees irgendwann, an irgendeinem Zeitpunkt, beim Chanten [dem Singen des Mantras] oder, wenn sie [das Bildnis der] Gottheit erblicken, ein erhebendes Gefühl. Aber wie verhält es sich mit den tieferen und länger anhaltenden spirituellen Gefühlen, welche man als "bhava" und "prema" [Synonyme für "Liebe"] beschreibt? Was ist mit der Krishna-Liebe, die aus dem tiefsten Inneren kommt, Herz und Verstand überwältigt, einen Menschen vollkommen verwandelt, dich in einen Heiligen verwandelt, dessen bloße Anwesenheit ausreicht, um in anderen ein Gefühl für das Heilige zu erwecken? Bringt ISKCON solche, offensichtlich krishna-bewußte [erleuchtete] Menschen hervor? Sieh dich einmal um, und dann entscheide selbst.

Um diesem peinlichen Mangel an reinen Gottgeweihten auszugleichen, setzt man in der ISKCON gezwungenermaßen eine Variante von "Des Kaisers neue Kleider" in Kraft: Man überzeugt sich selbst und die anderen so gut es eben geht, daß gewisse fortgeschrittenere Devotees "reine" Geweihte sind. Alle, die den Status dieser fortgeschrittenen Devotees nicht anerkennen, sind entweder nicht "fortgeschritten" genug, es mangelt ihnen an Erkenntnis - oder sie sind einfach nur neiderfüllt und dumm. Oder, man dehnt den Begriff des "reinen Geweihten" soweit aus, daß möglichst viele Devotees davon erfaßt werden (etwa: alle Gurus - alle, die darauf hoffen, reine Gottgeweihte zu werden - alle, die die Grundprinzipien einhalten usf.)

Einige wenige, hochmotivierte, sehr disziplinierte, in spiritueller Hinsicht begabte Devotees halten sich an die Prinzipien des Bhakti-yoga [der im Hinduismus gelehrten Hingabe an Gott]und genießen die Früchte ihrer Bemühungen [= Seelenfrieden] . Aber für den weitaus größeren Teil der Devotees in der ISKCON ist das spirituelle Leben nicht viel mehr als ein ewiger Kampf gegen die grundlegende Anhaftung [an "weltliche" Dinge], gegen den Stolz, gegen die Gier, gegen die Lust. Man macht immer weiter, Jahr für Jahr und hofft immer weiter, wider alle Vernunft: "Eines Tages, ja, eines Tages, eines Tages in weit entfernter Zukunft, eines schönen Tages werde ich wie durch Zauberhand ein reiner Devotee".

Nachdem ich über viele Jahre Mitglied in der Bewegung war, bin ich schließlich zu folgendem Schluß gekommen: Ganz gleich welche Erfolge die Bewegung in anderen Bereichen auch immer haben mag, ganz gleich wie viele hinduistische Ordensgewänder auch immer verliehen, wie viele Tempel eröffnet, wie viele Bücher verteilt [Anmerkung: nach Art von Drückerkolonnen kommerziell vertrieben] werden, wie viele Spenden von Berühmtheiten eingeworben werden - da niemand auf die höheren Stufen des Krishna-Bewußtseins [=Erleuchtung] erhoben wird, ist dies alles nur Show, und nichts dahinter.

 

Moralisches Scheitern und Unaufrichtigkeit

Im Laufe meiner Jahre bei ISKCON erfüllte es mich allmählich mit Schrecken, wie sehr sich Menschen (auch ich selbst) zu cleveren, verschlagenen und doppelgesichtigen "Verkündigern der Wahrheit" wandelten; Menschen, die der Bewegung auch deswegen beigetreten waren, weil es die allgegenwärtige Unehrlichkeit im alltäglichen Umgang war, die sie abstieß. Wie schwer es uns jedoch auch immer fallen mag, dies einzugestehen, "Der Zweck heiligt die Mittel" ist schon seit langer Zeit die allesbestimmende und allesbeherrschende Ethik in der ISKCON. Basierend auf der Annahme, daß Tricks, Täuschungen und Schmeicheleien die richtigen Mittel sind, um im Dienste einer "höheren Moral" Menschen hereinzulegen, damit sie Geld an die ISKCON zahlen und diese somit am Leben bleibt, wird den Devotees beigebracht, so ziemlich alles zu tun und zu sagen, solange es nur als "Form des Predigens" gerechtfertigt werden kann. Vom einfachen Devotee-Neuling, der dem "Karmi" [Nicht-Gläubigen] unter eklatanter Vorspiegelung falscher Tatsachen "das Geld aus der Tasche zieht", bis zum hochgebildeten und im sozialen Umgang erfahrenen Devotee, der die ISKCON so geschickt "verpackt", daß man damit Freunde leicht werben und Gegner leicht unterminieren kann - all dies beruht auf derselben Ethik: Streue Sand in die Augen des Nicht-ISKCON-Gläubigen, der von den Tatsachen keine Ahnung hat.

Obwohl dieses Verhalten vom Standpunkt einer selbstzentrierten, selbstgemachten "transzendentalen" Ethik durchaus gerechtfertigt erscheinen kann, führt es in der Praxis zu Geringschätzigkeit und Überheblichkeit gegenüber denen, für die der Gläubige angeblich "Mitgefühl" empfinden soll, und zu Manipulation und Kontrolle gegenüber dem Mit-Gläubigen, der [aus dem Kreislauf der Wiedergeburten] angeblich "befreit" werden soll.

Obwohl einige der größeren Auswüchse dieser "Ethik des Betrugs" in den letzten Jahren zurückgenommen worden sind, hat sich doch die Grundeinstellung für meine Begriffe nicht geändert, denn sie beruht auf der Behauptung, aus welcher die ISKCON ihre Existenzberechtigung ableitet: die Behauptung ihrer moralischen Überlegenheit.

Eine weitere fundamentale Art der Unaufrichtigkeit in der Bewegung ist die Unaufrichtigkeit in intellektueller Hinsicht: Eine "erworbene Prägung", durch die das philosophische Hauptziel des einzelnen nicht mehr ist, voller Disziplin und Aufrichtigkeit die innere Wahrheit in sich selbst zu entdecken, sondern eine vorgegebene, vorverdaute, vorher abgepackte "Wahrheit" zu erlernen, die auswendiggelernt, verinnerlicht, weitergegeben und gegen andere verteidigt werden muß. Unabhängig von der Realität oder den tatsächlichen Fakten wedelt man mit dem Fahnchen übernommener "Wahrheiten", anstatt den eigenen Geist darauf zu richten, daß man - durch Nachdenken und eine Öffnung gegenüber allem, was man überhaupt nur wahrnehmen und lernen kann - sich selbst furchtlos auf die Suche nach der Wahrheit macht.

Diese loyale, zähe Verteidigung der empfangenen "Wahrheit" im Angesicht vieler, möglicherweise unangenehmer Wahrheiten stellt meiner Meinung nach keine Abwehr der "Illusion" dar, um die "göttliche Wahrheit" zu schützen ["Maya", "Illusion", ist im Hinduismus das größte Hindernis zur Erkenntnis des Selbst], sondern ein feiges Sich-Verbergen vor der unerwarteten und entwaffnenden Wahrheit, in der vergeblichen Hoffnung, eine zerbrechliche existentielle "Sicherheit" zu beschützen, welche als erleuchtungsvolle Gewißheit verkauft wird. Ich muß mich noch immer wundern, und im Nachhinein auch irgendwie schämen über meine Bereitwilligkeit und die der anderen Intellektuellen der ISKCON, jegliche Form der intellektuellen / philosophischen / existentiellen Aufrichtigkeit sofort zu verwerfen, nur um unseren auf tönernen Füßen stehenden Glauben zu bewahren - um unser kleines zerfetztes "Fähnlein der Wahrheit" aufrechtzuerhalten im Angesicht der unermeßlichen Vielfalt von Ideen und vielfarbigen Realitäten, die uns umgab.

 

Hartherzigkeit

Ich erinnere mich, daß ich während der Jahre meines Aufenthalts in der ISKCON oft enttäuscht war vom Verhalten der Führungspersönlichkeiten in der Bewegung, die sich um die Individualität der Devotees unter ihrer Aufsicht recht wenig zu scheren schienen. (Ich hätte mich vermutlich genauso entwickelt, hätte ich eine Führungsposition angenommen. Glücklicherweise habe ich eine Aversion dagegen, Leute zu haben, die "unter mir" sind). Ich glaube, aus der ISKCON können wir lernen, daß eine gewisse Hartherzigkeit um sich greift, wenn man "die Prinzipien" über die Menschen stellt, wenn man die Institution als vorrangig definiert und ihre Mitglieder lediglich als ihre demütige Diener.

Die Rhetorik der Unterwerfung hat, natürlich, etwas sehr Erhabenes an sich: Der Gedanke an Devotees, die für ein gemeinsames Ziel arbeiten, ihre Energien und Fähigkeiten zusammenführen, persönliche Unabhängigkeit und ein Leben in Bequemlichkeit opfern, alles im Dienste der glorreichen Mission. Tatsächlich bringt diese Rhetorik jedoch ein soziales und persönliches Klima hervor, in dem die besonderen Bedürfnisse des Einzelnen bis ins Unendliche heruntergespielt, abgewertet, anderen Dingen unterordnet und im großen und ganzen ignoriert werden - bis der Einzelne früher oder später das Gefühl hat, daß er vernachlässigt wird, daß man ihm nicht zuhört, das man ihn nicht ernst nimmt und ihn ausbeutet.

Aufgrund der Tatsache, daß ich in meiner Arbeit einen hohen Grad an persönlicher Freiheit eingeräumt bekam (ich wurde nicht direkt von Vorgesetzten überwacht und mußte auch kaum Befehlen gehorchen) kann ich mich, zumindest was diesen Bereich meiner ISKCON-Zeit angeht, persönlich kaum beklagen. Aber in den 17 Jahren, meines Lebens in der ISKCON, durch die vielfachen Gespräche mit den anderen Krishnajüngern, die ich häufig beriet, wurde mir immer stärker, immer schmerzhafter bewußt, wie herablassend, despektierlich, grob und autoritär Führungs- und Verwaltungspersönlickeiten auf allen Hierarchie-Ebenen mit den ihnen unterworfenen Devotees umgehen - "im Namen des im hingebungsvollen Dienstes für Krishna". Sie betrachten ihre Untergebenen nicht als seelisch komplexe, fühlende, wünschende und denkende Individuen, sondern als "menschliche Maschinen", gut genug für den Einsatz zu einem jeweiligen Zweck. Ich erinnere mich an Führungspersönlichkeiten, die Rücksicht auf die Psyche und die individuellen Bedürfnisse der Devotees für unangebracht hielten oder es sogar lächerlich fanden, so etwas auch nur in Betracht zu ziehen. Wenn jemand Bedenken äußerte, wurden diese zerstreut; Mitgefühl für die Untergebenen sei nichts weiter als Rührseligkeit, unnötige Verzärtelung, mangelnde Härte, im Widerspruch zu den Prinzipien von Demütigkeit und Gehorsam.

Es ist diese Kälte und Hartherzigkeit, die bei vielen Devotees das Gefühl hinterläßt, benutzt und ausgebeutet zu werden - die Gefühlskälte, die Herabwürdigung des Menschen zum bloßen Objekt, die Gleichgültigkeit und die Mißachtung des anderen, diese fast zynische Art, Demut und Gehorsam zu beschwören, nur "damit der Laden am Laufen bleibt". Wenn die Frustration, der Kummer und Ängste schließlich zu stark geworden sind, ist es so, daß viele einfach "gehen". Sie werden zu "Aussteigern", welche vielen Fällen - verständlicherweise - Verbitterung und eine unversöhnliche Haltung befällt.

Auch ich bin bis zu einem bestimmten Grad Teil dieses Systems gewesen - oder habe zumindest davon profitiert. Dafür schäme ich mich, und ich möchte mich hiermit bei allen, denen ich wehgetan haben könnte, aufrichtig entschuldigen.

 

Das sexy Zölibat

Die am schwersten einzuhaltende Regel der ISKCON - darin werden wir die meisten Devotees wohl zustimmen - ist das in der ISKCON geltende Verbot von "unerlaubtem Sex", von jeder Form der Sexualität, die nicht der Zeugung eines ehelichen Kindes gilt. Dieses Verbot ist der Ursprung der meisten Probleme - und, abgesehen von Enttäuschung über die ISKCON per se - der häufigste Grund, warum ein Devotee "fällt" [d. h. Aufgeben des spirituellen Pfades nach den Regeln der ISKCON, möglicherweise ein wenig vergleichbar dem Austritt aus einem Kloster].

Ohne über positive Bedeutungen der Enthaltsamkeit zu diskutieren, ist es sicherlich fair zu sagen, daß im Laufe eines auf Spiritualität ausgerichteten Lebens fast jeder Devotee irgendwann das Keuschheitsgebot wenn nicht mehrfach, so doch zumindest wenigstens einmal brechen wird. Das Verlangen nach Sex(ualität) zeigt sich früher oder später im Leben eines jeden Krishnajüngers, schwach ausgeprägt oder stärker, und in der verschiedensten Gestalt. Vom Guru ganz oben, der von seinem Guru-Thron herab Predigten hält, bis hinunter zum sprichwörtlichen Devotee-Neuling, der [auf der untersten Stufe steht und deswegen] im Hare-Krishna-Tempel die Toiletten putzt - Devotees denken an Sex, träumen davon, befriedigen sich allein im Verborgenen und haben in häufigen Fällen Sex mit anderen (willigen Mit-Devotees - männlichen oder weiblichen "alten Bekannten" - Menschen, die die Krishnajünger außerhalb der Tempelmauern kennengelernt haben usf.), solange sie der Meinung sind, es werde schon keiner mitbekommen. Dies wird in der ISKCON wohl niemand offen eingestehen, denn für die Devotees ist diese - recht offensichtliche - Tatsache eine Quelle starker Schmach. Devotees betrachten es als abstoßend und schändlich, dem Verlangen nach Sex(ualität) nachzugeben, da sie dieses "Schwachwerden" ansehen als Zeichen des persönlichen Scheiterns – und weil sie gegenüber Nicht-ISKCON-Gläubigen beständig damit rühmen, daß sie einen "höheren Geschmack" erfahren, der hauptsächlich darin wurzele, daß sie an bloßer sinnlicher Befriedigung nicht interessiert seien.

Um es ganz offen zu sagen, es ist sehr traurig, tragisch sogar, mit ansehen zu müssen, wie Menschen, die aufrichtig nach einem spirituellen Leben streben, endlos gegen ihre Sexualität (die für ein verkörpertes Wesen immerhin ganz natürlich ist) ankämpfen, sie verleugnen, wie sie sich wegen ihrer mangelhaften "Losgelöstheit" vom Körper beständig selbst "fertigmachen", wie sie sich verstecken, um "im Verborgenen" zu masturbieren oder wie sie für andere Devotees "Anhaftung" [Beziehungen, zwischenmenschliches Hingezogensein im allgemeinen] entwickeln und Pläne schmieden für "unerlaubte Begegnungen". Durch all diese Unvermeidlichkeiten, Trug und Heuchelei, Scham und Schande, die Verleugnung und das Decken der Tatsachen ist die vorgebliche Überlegenheit der ISKCON, die sie aus der vorgeblich keuschen Lebensweise ihrer Mitglieder ableitet, bedauerlicherweise ein fauler Trug. Natürlich gibt es einige wenige Devotees, die die Gabe haben (wenn es denn wirklich eine Gabe ist) glücklich und zufrieden ein Leben in Keuschheit zu führen. Aber der Großteil der Geweihten besitzt diese Gabe leider nicht.

Nachdem ich jahrelang in Gesprächen und Beratungen bei mir selbst und anderen die Zwiespältigkeit des Keuschheitsgebots festgestellt hatte und die mangelnden Erfolge, dieses Gebot auch einzuhalten, kam mir schließlich irgendwann der ganze "Götze Keuschheit" irgendwie suspekt vor. Warum schafften es die meisten Devotees nicht, ohne alle Kompromisse keusch zu leben? Warum diese generelle Unfähigkeit, Enthaltsamkeit zu leben, die die ISKCON nicht nur als Voraussetzung für jegliche ernsthafte Spiritualität versteht, sondern als die Grundlage jeglicher Zivilisation im menschlichen Leben? Warum dieser grundsätzliche Fehlschlag?

Einige Geweihte glauben, es läge an einem grundlegenden Mangel im westlichen Bewußtsein (wir seien zu lustbesessen); andere sehen die Schuld in der beständig mangelhaften Ausführung der Religion des Bhakti-yoga (Vergehen beim Chanten); einige wenige gehen davon aus, daß Prabhupada die Gaudiya-Vaishnava-Religion unvollständig weitergegeben habe (indem er beim Diksha gewisse notwendige mystische Elemente wegließ); einige sagen, dies sei die natürliche Folge gemischtgeschlechtlicher Ashrams (und schlagen im selben Atemzug den Hinauswurf der Frauen aus dem Tempel vor); andere glauben, es läge am Kali-yuga. Was auch immer der Grund sein mag, es bleibt eine Tatsache: Die meisten Devotees sind alles andere als losgelöst vom Verlangen.

[Bhakti-yoga, der "Pfad zur Erlösung durch die Hingabe an einen persönlichen Gott". Vergehen beim Chanten: Durch das Singen des Mantras wird das Karma ausgelöscht; dies geschieht jedoch nicht, wenn der Gläubige bestimmte überlieferte religiöse Regeln bricht. Gaudiya Vaishnava: ein religiöser Orden der Vishnu-Religion, aus dem die ISKCON entstammt. Diksha: Zeremonie der Aufnahme in einen religiösen Orden. Ashram: heiliger Ort, Kloster; Kali-yuga: das gegenwärtige Zeitalter, welches von der Göttin des Chaos regiert wird.]

Wie wir gesehen haben, sind starke Schuldgefühle, Selbsthaß, Unaufrichtigkeit und Verleugnung die Folge, wenn man einem Menschen, der sich noch nicht vollkommen von seinem Körper gelöst hat, ein absolutes Keuschheitsgebot auferlegt. "Eines Tages", so reden wir uns immer ein, "werde ich vollkommen krishna-bewußt sein und vollkommen frei vom sexuellen Verlangen." Dennoch sind wir - trotz des Chantens und den ganzen Sachen – Wesen in einem lebenden Körper, der seiner Natur nach - nach Berührung verlangt, nach körperlicher Fürsorge, nach der beruhigenden Umarmung eines liebenden Menschen.

So stark ist das natürliche, menschliche Verlangen, berührt zu werden, daß man, um es zu umgehen, um es (kurzzeitig) zu unterdrücken, diese Berührung in den schwärzesten Farben malen muß: Sex lediglich als wilder, viehischer Akt - ein Bild des totalen, chaotischen Kontrollverlustes, der Regression, voller Keuchen, Sabbern und Widerlichkeit.

Aber erinnere dich, wie es früher für dich war, mein lieber Devotee-Freund und liebe Devotee-Freundin: Wenn du ins Bett gingst mit deiner Freundin / deinem Freund, deinem Ehepartner - War dies alles wirklich nichts weiter als barbarisches Stoßen und Grunzen? Hatte es für dich überhaupt nichts zu tun mit Liebe, Fürsorge, Respekt, Bewunderung, Zuneigung? Sicher, Sex kann - wie jede andere menschliche Aktivität - schön sein oder häßlich. Es kann einen vollkommenen, egoistischen, schweinischen Kontrollverlust bedeuten, oder aber (in deiner Erinnerung oder in deiner Vorstellungskraft) ein zärtlicher Ausdruck von Gefühlen sein, voll Zuneigung und gegenseitiger Freude, oder sogar ein Ursprung für das tiefe Gefühl, innerlich und geistig eins zu sein. Derartige Erinnerungen oder Wünsche kann man nur verdrängen oder unterdrücken, wenn man seine eigenen Erfahrungen oder sein intuitives Gespür für solche Dinge bewußt verdrängt.

Es ist hier nicht meine Absicht, Sex(ualität) zu glorifizieren (obwohl sie durchaus großartig sein kann), sondern daran zu erinnern, was passieren kann, wenn man Sex tabuisiert – und auch, um einen radikalen Gedanken vorzubringen: Vielleicht ist es möglich, Gott oder das Universum zu lieben, gütig und mitfühlend zu sein, – unter dem Banner welcher Religion auch immer - Weisheit, Empfindsamkeit und Achtsamkeit zu kultivieren – ohne Verleugnung und Repression der menschlichen Sexualität.

 

Mißachtung der Frauen

Wäre Frauendiskriminierung tatsächlich der einzige Schönheitsfehler einer Organisation, die – wie die ISKCON von sich behauptet –

ansonsten glorreich und spirituell ist, so hätten meine Frau Sitarani und ich dennoch guten Gewissens die Organisation verlassen, der wir einen Großteil unseres Lebens geschenkt hatten. Im Laufe der Zeit unserer Mitgliedschaft wurde es für uns immer schwieriger, eine Mentalität zu ertragen, die wir nicht nur dulden, sondern auch hochhalten und unter Professoren und Studenten weiterverbreiten sollten - diese rohe, unreflektierte "Halbwüchsigen-Mentalität" von Männlichkeit – die offizielle mysoginistische Doktrin der Organisation, Frauen seien "wie Kinder", emotionsgeschüttelte Wesen, die nicht vernünftig denken können und nicht in der Lage sind, selbst Verantwortung zu tragen und so unfügsam sind, daß sie unbedingt der Beherrschung durch den Mann bedürfen.

Es ist alles andere als überraschend: In der ISKCON herrscht ein Gefühl der Furcht vor Frauen, des Frauenhasses; es ist eine Institution, in der Frauen ausgebeutet werden. Eine auf Männer ausgerichtete Religion, die die Begierde als den Feind des Glaubens ansieht, wird natürlicherweise das Objekt der Begierde als das personifizierte Böse hinstellen: Weiblichkeit als der große Gegner, den es zu überwinden gilt im heiligen Kampf des Mannes um Erleuchtung. Da man der Frau auf diese Weise den Stempel des Bösen aufdrückt, ist das Großzügigste, was man machen kann, sie zu dulden – eine Existenz ganz offiziell im Schatten des Mannes, ihre "ungezügelten Energien" gnädigerweise in männliche Dienste gestellt. Im schlimmsten Fall werden Frauen von offizieller Stelle systematisch verleumdet, in die Ecke gedrängt und, in gar nicht so seltenen Fällen, körperlich und seelisch mißbraucht.

Eine Religion, die es jedem männlichen Neuzugang "frisch von der Straße" zugesteht, sich allein aufgrund der Tatsache seines Penis' gegenüber allen weiblichen Devotees als etwas Besseres vorzukommen, obwohl diese vielleicht schon älter sind und vielleicht die Religion schon seit Jahrzehnten praktizieren –

- eine Religion, die es jedem verheirateten Devotee-Mann zugesteht, sich wie ein Maharaja aufzuführen und seine Frau zu schikanieren, als wäre sie ein Sklave, nur auf der Welt zur Befriedigung seiner Wünsche – ganz so, als ob Krishna seine Freude hätte an dieser Zurschaustellung regelrechter Hackordnungen zwischen Menschen --

- wird sich den Spott der Außenwelt zuziehen, und innerhalb der Organisation Gewissenskonflikte bei jenen auslösen, die von mitfühlendem und aufrechtem Wesen sind. Ich muß mich wundern, daß Frauen, die genug Selbstachtung haben, fähig sind, eine solche Behandlung überhaupt zu ertragen [Anmerkung: Ist das wirklich ein Anzeichen von Selbstachtung?, d. Ü.], und es spricht vermutlich für sie, daß sie so viele Beleidigungen und Mißhandlungen einstecken und trotzdem bei einer spirituellen Tradition bleiben, von der sie glauben oder sich erhoffen, daß etwas Größeres und Weiseres dahinterstecke als dies.

Eine Zeitlang gaben meine Frau Sitarani und ich uns damit zufrieden, in der Sache "etwas großzügiger" zu verfahren. Wir bemühten uns beispielsweise darum, daß mal eine Frau die Schriftlesung halten durfte, daß beim Hare-Krishna-Gesang (kirtana) [nach dem Prinzip "Ruf und Antwort"] mal eine Frau der Vorsänger sein durfte; daß in den Tempelvorstand auch mal eine Frau hineingewählt wurde. Aber allmählich wurden wir es leid, uns zur bestmöglichen Rechtfertigung "der Sache an sich" immer neue schlaue Ausreden einfallen zu lassen, wenn wir mal wieder in Frage gestellt von klugen, kritischen College-Studenten und anderen Menschen mit kritischem Geist. Es wurde uns allmählich leid, daß wir all unser Wissen und unsere Erfahrung einsetzen sollten für das hehre Ziel, die Macken einer Organisation zu verbergen, die sich von der Realität und den gängigen Regeln des Anstands meilenweit entfernt hatte.

Als wir schließlich die Organisation verließen, empfanden wir beide große Erleichterung über den Ausstieg aus einem sozialen und politischen Klima, das Frauen und die von Frauen verkörperten Werte so kategorisch herabsetzte. Die ISKCON, ist, schlußendlich, so derartig nach Werten ausgerichtet, die hauptsächlich Männer verkörpern: Machtgier, Kontrolle, Befehle als Obsessionen; Zucht und Ordnung, Hierarchien, strikte Regeln und Rivalität. Noch dazu all diese Rhetorik des Kampfes, so als würde man sich bei jedem Satz gleichsam mit den Fäusten gegen die Brust trommeln: "Besiege" die Sinne, "überwinde" die Illusion, "vernichte" die Feinde, "zerschlage" die Dämonen.

Was ist mit den edlen "weiblichen" (als weiblich geltenden) Tugenden des Shri Chaitanya (dem "Stammvater" der Hare-Krishna-Bewegung im 16. Jahrhundert in Indien) und seiner Jünger? Was ist mit Freundlichkeit, Demut, Verständnis, Warmherzigkeit, Mitgefühl, Fürsorge in spiritueller Hinsicht, Empfindsamkeit und Behutsamkeit im Umgang miteinander? Während ISKCON-Anhänger diesen Eigenschaften, die anerkanntermaßen vishnuitische Tugenden sind, gelegentlich äußerlichen Tribut zollen, sind es in der Praxis doch vielgeliebte "männliche" Eigenschaften, die von der Führung der ISKCON gefördert und belohnt werden: eine rechthaberische, aggressive Grundhaltung; die Fähigkeit, andere zu dominieren und zu manipulieren. Die ISKCON als Institution ist ihrer Natur nach ganz eindeutig frauenfeindlich; und ganz besonders feindselig steht sie jenen Eigenschaften und spirituellen Prinzipien gegenüber, als deren Verkörperung (vorrangig) die Frauen gelten.

Liebe Schwestern innerhalb der Bewegung, ich möchte euch dazu einladen, über diese Tatsachen nachzudenken und euch selbst die Frage zu stellen, ob ihr euch in einer solchen Umgebung wirklich wohl fühlt – ob ihr in einer solchen Welt leben könnt, ohne die grundlegende Achtung vor euch selbst und eure spirituelle Zuflucht einem Prozeß schmerzhafter Verdrängung zu opfern. Ich ermutige euch, diese Dinge (was ja viele von euch bereits tun) miteinander zu diskutieren, und daraus eure eigenen Schlüsse zu ziehen.

 

Verlust der Würde im Namen der Religion

Schlußendlich war es auch ein philosophisches Problem, was mich zu meinem Ausstieg aus der ISKCON bewegte: In mir reifte immer stärker das Bewußtsein, daß, ganz egal, wie viel Weisheit und Schönheit auch immer in einer einzigen Religion zu finden sein mag – keine Tradition, kein System ist in der Lage, vollkommen für ein einzelnes Individuum zu sprechen. Wo auch immer die möglicherweise göttlichen Ursprünge einer Religion liegen mögen – sie wird weitergegeben durch menschliche Wesen, die weise und voller Einsicht sein mögen, heiligmäßig sogar – aber dennoch sind es Menschen, Individuen; jeder von ihnen hat eine eigene Biographie, eigene Erfahrungen, seine spezifischen Charakterzüge, Denkweisen, seine spezielle Art zu fühlen und zu kommunizieren. Obwohl es im Krishna-Bewußtsein vieles gab, das für mich ansprach und für mich eine tiefe Bedeutung hatte, wuchs in mir (ganz langsam, allmählich, über einen langen Zeitraum) die Erkenntnis, daß ich nicht einfach meine Gedanken und Gefühle unterdrücken und jedes Wort aus den Schriften blind und automatisch akzeptieren konnte (Frauen seien weniger wert seien als Männer; Blitz und Donner würden ausgesandt vom [Himmelsgott] Indra; die Sonne befände sich in größerer Nähe zur Erde als der Mond etc).

Wichtiger jedoch als Schwierigkeiten mit bestimmten Passagen aus den Schriften war jedoch mein zunehmendes Bewußtsein, daß etwas Unnatürliches, Künstliches und Erzwungenes in der ganzen Idee lag, daß ich mich komplett von meinen eigenen Gedanken, Reflexionen, Einsichten und meiner intuitiven Selbstwahrnehmung, und von meiner Lebenserfahrung trennen müßte und sie ersetzen müßte durch ein abgepacktes, vorher geprüftes System von Ideen und Lehren, welches – unabhängig von seinem Ursprung – durch zahlreiche Menschen verbessert und im Laufe der Jahrhunderte durch das Herz und den Verstand vieler Menschen gegangen war. (Obwohl es lange dauerte, bis ich es mir bewußt eingestehen konnte), begann ich zu fühlen, daß – mögen wir auch "unvollkommen" sein - die Aufgabe des eigenen Selbst ein unrealistisches und unfaires Verlangen war, weil es die Ganzheitlichkeit und die Einmaligkeit des eigenen Selbst entwürdigt.

In mir stieg das Bewußtsein auf, daß etwas zutiefst Unmenschliches in dem Gedanken liegt, daß wir vollkommen verschieden sind von dem, was wir direkt wahrnehmen, und das die individuellen Unterschiede zwischen uns allen (geistige Fähigkeiten, Verhalten etc.) lediglich Produkte eines unnatürlichen Zustandes der Illusion wären – daß wir, wenn wir unsere geistige Bestimmung erreichen, alle konform sein werden anhand einer ganz bestimmten, genau festgelegten Checkliste von Wesensmerkmalen. Und, was noch dazu kommt, daß wir, um diesen perfekten Zustand (der Konformität) zu erreichen, uns alle der Autorität gewisser autorisierter Personen beugen müssen, um eine radikale Umerziehung zu durchleben – mehr oder weniger abgetrennt von allen Ideen, Einflüssen oder Personen, die uns möglicherweise dann erinnern könnten, wer wir, wie wir irrtümlicherweise glaubten, einst waren.

Nun, unabhängig von der Schönheit eines spirituellen Pfades – es liegt etwas leicht Bedrohliches in einem religiösen System, das die Empfindung Meinerselbst so kategorisch und kompromißlos entwürdigt, und das (wenn ich es loyal und eifrig praktiziere) dazu führen würde, daß ich jegliche Wahrnehmung und Intuition vollkommen bezweifeln und in Frage stellen müßte –

und durch das ich (sogar um nur zu wissen, was denn nun eigentlich die Realität ist) mich vollkommen in die Abhängigkeit von anderen Leuten begeben müßte, über deren spirituelle Vollkommenheit ich keinen schlußendlichen Beweis habe (und deren spiritueller Status bestenfalls zweifelhaft ist angesichts der regelmäßig auftretenden Skandale um jene, die die ISKCON als "rein" und "vollkommen" anpreist).

Bedenke bitte, noch einmal, die grundlegende Beleidigung deines Selbst, die in dieser Art des Denkens liegt. Die Stimme der Autorität verkündet: "Was immer du glaubst zu sein, bist du nicht. Diese Person, die du fühlst, diese komplexe Sammlung höchstpersönlicher Erfahrungen, Gedanken und Empfindungen ist nichts als eine Illusion. Du darfst deinen eigenen tiefsten Instinkten und deiner intuitiven Wahrnehmung nicht vertrauen […]. Du bist gefallen, in Unwissenheit, in Illusion, und bist nicht in der Lage zu verstehen, was das Beste für dich ist. Deine einzige Hoffnung besteht darin, daß du dich der absoluten Autorität bestimmter Individuen, Lebender oder Toter, unterwirfst, deren Weisheit du anerkennen mußt als deiner weitaus überlegen, aus dem Grunde, weil sie oder ihre Repräsentanten es dir so gesagt haben."

Muß denn die Religion wirklich basieren auf einem solchen Akt extremer Selbstverleugnung, auf einem derart bedingungslosen Verwerfen aller eigenen Erfahrungen? Sind die WAHRHEIT und die WEISHEIT wirklich so radikal verschieden von meinem eigenen Bewußtsein, meinen Leben, der Tiefe meines Wesens? Dienst es wirklich meinem Wohl, wenn ich Augen und Ohren vor meinem inneren "Gefühl" für die Natur der Dinge verschließe? Ist diese Art der Selbstverleugnung wirklich "Demut" – in weiser Anerkenntnis, daß ich ein begrenztes Wesen bin - oder ist es letzten Endes nicht mehr als eine Form der Selbstbeschämung [und Selbstzerstörung], die schließlich dazu führt, daß man blind Dingen nachläuft, die andere diktieren, Menschen, die möglicherweise ein tiefes, unkorrumpiertes Verständnis der inneren Wahrheit haben -- oder aber auch nicht?

Ich begann sehr stark zu spüren, daß man Religion nicht einfach planen kann wie eine Geschäftsangelegenheit – indem man einfach alle möglichen Mentalitäten und Befindlichkeiten in einen einzigen Topf wirft, um daraus eine gemeinschaftliche, einheitliche reglementierte Sicht der Realität und des Transzendenten hervorzubringen. Viel eher sollte man dem Geist des Individuums genug Achtung und genug Vertrauen entgegenbringen, damit es seinen eigenen Pfad suchen darf, eigene Fehler machen darf und schließlich das für sich Richtige findet, indem es bewußt und gewollt auf seine eigene Intuition hört und auf jene Stimmen der Weisheit, die sich auf dem Weg durch das Leben einstellen werden.

Schlußendlich erkannte ich trotz oder wegen des ganzen Geredes der ISKCON von "Freiheit", von "geistiger Befreiung", von der Flucht aus Zuständen geistiger Eingeschränktheit, daß die herrschende Mentalität in der ISKCON charakterisiert wird durch eine deutliche Angst vor Freiheit: Furcht vor der persönlichen Suche, Furcht vor dem Augenblick, Furcht vor der Möglichkeit, dem Unerwarteten offen gegenüberzustehen – selbstzerstörerisches Mißtrauen gegenüber all jenen Funken von Wahrheit, die uns vielfältig an verschiedenen Orten entgegenleuchten, und die die Macht haben, uns zu führen, zu leiten und zu erleuchten, so wie ein Goldkörnchen inmitten Tausender Körner von Staub.

English translation here 

Auf besonderen Wunsch des Autors weist der Webmaster darauf hin, daß Mr. Gelberg als freier Photograph tätig ist. Webseite: http://www.stevengelberg.com