Nori Muster
2003
Die
ISKCON
"Ich würde gern auf einigen Seiten die Kräfte erläutern, die in ISKCON am
Werk waren. Unter der Oberfläche ging dort etwas vor sich, das mich in einem Zustand
der Abhängigkeit festhielt. Wenn denn die Dinge schon "mit Etiketten versehen"
werden müssen, so würde ich es weniger "Gehirnwäsche" nennen als vielmehr
Kodependenz von einem System, das ich liebte und von dem ich hoffte, daß es funktionieren
würde. Psychologen und populärwissenschaftliche Autoren werfen um sich mit Begriffen wie "kodependent", "dysfunktional" und "suchterzeugend"
(addiktiv), als wären diese Begriffe Allgemeingut. Aber für sich allein, ohne
Erklärung, sind sie für die meisten Menschen unverständlich. Bevor ich erkläre,
warum die ISKCON eine dysfunktionale Organisation war, gestatten Sie mir deshalb,
einige Begriffe zu erklären.
Der Begriff dysfunktional (nicht funktionierend) wird üblicherweise auf Familien angewendet, aber er kann
{im Englischen} alles Mögliche beschreiben, von einer kaputten Waschmaschine bis
hin zur Gesellschaft als Ganzem. Eine "nicht funktionierende" Sache
hat offensichtlich aufgehört zu funktionieren, oder hat vielleicht niemals wirklich
funktioniert. Eine Familie kann nicht "funktionieren", wenn die einzelnen
Familienmitglieder ihre Ideen, Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche einander nicht
mitteilen. Ein Mangel an Kommunikation wird meist begrüßt und verstärkt durch
ein stringentes System unausgesprochener Familienregeln. Beispielsweise könnte
eine unausgesprochene Regel lauten, daß niemand Vaters Spielsucht zur Sprache
bringen darf, selbst wenn jedes Familienmitglied unter den negativen finanziellen
Auswirkungen {dieser Sucht} zu leiden hat. Gebunden durch Scham und Furcht, ermöglichen
es die Familienmitglieder es somit dem Vater, seiner Spielsucht weiter nachzugehen. Kodependenz ("Mit-Abhängigkeit") liegt vor, wenn sich die Familienmitglieder
auf die Seite eines Abhängigen schlagen und es ihm gestatten, seiner Sucht weiter
nachzugehen, oder ihm sogar dabei helfen. Sucht (Addiktion) kann definiert
als eine außer Kontrolle geratene Obsession, die negative Auswirkungen hat. Üblicherweise
streiten Abhängige und Mit-Abhängige ab, daß es ein Problem gibt.
Wie die Wesensmerkmale
gestörter Familien in Organisationen wirken, haben zwei Forscherinnen, Anne Wilson
Schaef und Diane Fassel, in ihrem Buch "The Addictive Organization"
("Sucht erzeugende Organisationen") aufgezeigt. Ihre Theorien erklären
zu großen Teilen, wie die ISKCON funktionierte, zumindest während der Jahre ihres
Niedergangs.
Während die Grundsätze
und die Praxis des Krishna-Bewußtseins von Güte geprägt sind, hat die Organisation
(zumindest in Nordamerika) religiös-psychologische Probleme gehabt. In seinem
Buch "Path with Heart" ("Pfad des Herzens") kritisierte Jack
Kornfield Gruppen wie die ISKCON mit der Aussage
"Als die Spiritualität
des Ostens in Amerika in den 1960er und 1970er Jahren an Popularität gewann, war
ihre Praxis zunächst geprägt von Idealismus und Romantik. Die Menschen versuchten,
Spiritualität einzusetzen, um "high zu werden" und um außergewöhnliche
Bewußtseinszustände zu erfahren. Man glaubte an vollkommene Gurus und an vollendete
und wunderbare Lehren, die, wenn man ihnen folgte, zu unserer vollen Erleuchtung
führen und die Welt verändern würden... Durch die Übernahme der Rituale, der Kleidung
und der Philosophie spiritueller Traditionen versuchten die Leute, ihrem Alltagsleben
zu entfliehen und spiritueller zu werden."
Kornfield geht davon aus,
daß der Grund für das Scheitern östlicher Religionsgemeinschaften oberflächlicher
Idealismus sei. Als ehemaliges Mitglied einer spirituellen Gruppierung, die materialistisch
wurde, glaube ich, daß die Probleme tiefer liegen. Wie viele moderne Organisationen
zeigt ISKCON die Probleme, die in gestörten Familien auftreten. Diese Dynamik
wird in dem Buch "The Addictive Organization" von A.W. Schaef erläutert,
und ich möchte in diesem Aufsatz Schaefs Modell verwenden, um das Leben in amerikanischen
ISKCON-Tempeln zu untersuchen.
Schaefs Modell
Sucht erzeugender Organisationen
Die "systemische
Addiktionstheorie" erklärt, warum Süchtige mit ihren Familien Auseinandersetzungen
haben und diese Familien aufhören, zu funktionieren. Schaef sagt, daß es "einen
spezifischen Prozeß des Süchtigwerdens" gebe, der all den verschiedenen Arten
von Sucht zugrunde liege. Sie nimmt Suchtverhalten aus dem Kontext der Familie
heraus und stellt fest, daß die Behandlung von Suchtverhalten auch den Suchtverhalten
fördernden Arbeitsplatz umfassen muß, da die Leute die meiste Zeit dort verbringen.
Somit identifiziert sie Sucht erzeugende Organisationen als die "Infrastruktur
der suchtbesessenen Gesellschaft" und als den "Kitt", der Suchtverhalten
auf gesellschaftlicher Ebene zuläßt.
Schaef stellt fest, daß
addiktive Organisationen die Wesensmerkmale von Süchtigen zeigen und häufig Angestellte
mit Suchtverhalten haben. Sie erläutert: "Individuen funktionieren genauso
wie die Organisation, zu der sie gehören." Wenn der Suchtprozeß einmal in
Gang ist, behält die Organisation jedoch ihr eigenes Suchtverhalten bei, selbst
wenn die Mitglieder kommen und gehen.
Zu den Suchtverhalten
zeigenden Menschen, die in addiktiven Organisationen arbeiten, gehören Süchtige,
Kodependente und erwachsene Kinder aus Alkoholikerfamilien. Jeder dieser Typen
hat seine eigenen Merkmale; einige Merkmale treffen bei mehreren Typen zu. "Süchtige" nennt man Menschen, die Substanzen (Alkohol, Drogen, Nahrungsmittel)
oder Prozesse (Arbeit, Sex, Geld, Glücksspiel, Beziehungen) mißbrauchen. Kodependente sind jene, die versuchen, den Süchtigen vor den Folgen seiner Sucht zu bewahren.
Kodependente haben im allgemeinen ein geringeres Selbstwertgefühl; sie können
möglicherweise süchtig sein nach Arbeit oder nach der Anerkennung durch Autoritätspersonen. Erwachsene Kinder aus Alkoholikerfamilien (adult children of alcoholics
- "ACoAs") sind ebenfalls kodependent, obwohl sie die Autoritätsperson,
der sie zu gefallen versuchen, möglicherweise ablehnen. Da erwachsene Kinder aus
Alkoholikerfamilien aus zerrütteten oder gestörten Elternhäusern kommen, fühlen
sie sich von Organisationen angezogen, die sich selbst als Ersatzfamilie darstellen.
Schaef benennt vier Möglichkeiten,
auf denen krankhafte Sucht eine Organisation befallen kann. Erstens, jemand in
einer Schlüsselposition in der Organisation kann ein Süchtiger sein. Zweitens, in der Organisation mag es Süchtige, Kodependente und erwachsene Kinder
aus Alkoholikerfamilien geben, die Suchtverhalten in die Organisation einbringen.
Drittens, die Organisation selbst kann das Suchtmittel sein. Und
schließlich kann auch die Organisation als ganzes ein Süchtiger sein. Diese
Zustände bilden eine Abwärtsspirale, und Organisationen am untersten Punkt des
Spektrums mißbrauchen ihre Mitarbeiter und die Klientel, der zu dienen sie versuchen.
Als ich 1989 die ISKCON verließ, zeigte die Organisation Symptome für jeden dieser
Zustände.
Führungspersönlichkeiten
der ISKCON als Süchtige
Süchtige neigen
dazu, falsche Entscheidungen zu treffen, paranoides oder schizoides Verhalten {= Verfolgungswahn oder Bewußtseinsspaltung} an den Tag zu legen und Unaufrichtigkeit und Verwirrung beizubehalten.
Ein Süchtiger in einer Schlüsselposition kann für eine Organisation ein Desaster
sein.
Bei sechs der 11 Gurus,
die 1977 die Leitung der ISKCON übernahmen, wurde später eine Sucht festgestellt.
Eine "Sucht" ist eine Gewohnheit, von der man einfach nicht loskommen
kann, selbst wenn diese Gewohnheit offensichtlich zur Quelle von Problemen wird.
ISKCON-Mitglieder (auch Führer) schwören, religiöse Regeln einzuhalten - sich
nicht zu berauschen, kein Fleisch zu essen, kein Glücksspiel zu betreiben und
keinen unerlaubten Sex. Von den 11 Gurus, die 1977 die Leitung der ISKCON übernahmen,
wurden sechs aus der Organisation ausgeschlossen, weil sie diese Regeln gebrochen
hatten und - neben anderen Gründen - nachlässig oder gar nicht meditiert hatten.
Laut Schaef können Süchtige
in einer Organisation nicht an der Macht bleiben ohne eine kodependente Umgebung
{die dies ermöglicht}. Die Sucht der Schlüsselperson würde aufgedeckt werden,
würde die "mit-abhängige" Gefolgschaft diese nicht decken. Folglich
gelangt die Organisation, um den Süchtigen zu decken und zu schützen, in einen
Zustand der Verdrängung. Dies war der Fall mit der ISKCON, wie ich in meinem Buch
{Nori Muster: "Betrayal of the spirit"} darlegte. Schaef sagt, daß eine
Möglichkeit des Umgangs mit einer süchtigen Schlüsselperson für eine addiktive
Organisation darin besteht, zu versuchen, den Süchtigen zu kontrollieren. Laut
Schaef macht dies jedoch das Problem nur schlimmer: "Sich darauf zu konzentrieren,
den Süchtigen unter Kontrolle zu halten, zwingt die Firma in dasselbe suchterzeugende
System wie den Süchtigen, ein System, das auf der Illusion basiert, man habe alles
im Griff." Laut Schaef endet eine solche Art, mit dem Problem umzugehen,
fast immer in einer Krise.
Ohne Erfolg versuchten
die ISKCON-Gurus jahrelang, das Halluzinogen-"Problem" eines Gurus in
den Griff zu bekommen {Halluzinogene = Sinnestäuschungen erzeugenden Substanzen}. Als gute "Mit-Abhängige" hielten sie das Problem
geheim, in der Hoffnung, sie könnten ihn ändern, bevor ihnen die ganze Sache aus
der Hand glitt. Das Verhalten des Gurus war bizarr; beispielsweise fiel er einmal
in Trance und chantete {sang das "Hare Krishna"-
Mantra} für Stunden. Mitunter stieß er unter LSD-Einfluß Schreie aus
oder zeigte andere Symptome für Hysterie. Keiner seiner Jünger wußte von seinen
Drogenproblemen; sein Verhalten sorgte bei ihnen für Verwirrung. Jayathirtha machte
sie glauben, er zeige die Zeichen einer erleuchteten Seele in Ekstase [welche genau diese sind - etwa unkontrolliertes Lachen,
Weinen, Erstarren, Zittern, Gefühlsausbrüche usw.].Nach
Jahren verschiedener Versuche, den Guru zu ändern, schloß die GBC {Governing Body
Commission = Leitende Körperschaft der ISKCON} ihn aus. Dies erzeugte unter seinen
Jüngern eine Spaltung - einige folgten Jayathirtha, während andere in der ISKCON
blieben. Jayathirtha machte seine eigene Religion auf - eine Mischung aus Krishna-Bewußtsein,
dem christlichen Glauben und LSD. Einer seiner Jünger, ehemals Mitglied bei ISKCON,
erstach ihn, von Drogen berauscht, 1986 in London - und trennte der Leiche den
Kopf ab.
Süchtige in Schlüsselpositionen
"beschwatzen" laut Schaef andere mitunter, ihr Verhalten zu entschuldigen,
oder man sieht über das irrationale Verhalten des Süchtigen hinweg, einfach deswegen,
weil er der Boß ist. Bis Mitte der 1980er Jahre machte die GBC keine Anstalten,
Gurus {aus der ISKCON} auszuschließen, obwohl die Probleme der Gurus bereits 1980
hinlänglich bekannt waren.
Interessant ist,
daß mehr als die Hälfte der 11 Gurus ausgeschlossen wurden wegen Verstoßes gegen
das Keuschheitsgebot. Schaef legt dar, daß die Dualität Gut/Böse, Richtig/Falsch
die Ausbildung eines repressiv-addiktiven Systems hervorrufen kann {ein
System, das auf die Unterdrückung von Trieben und Wünschen gerichtet ist und daher
zwanghaftes Verhalten hervorruft}.
Im Falle von ISKCON führte dies dazu, daß sich die enthaltsam lebenden Gurus übermäßig
mit den sexuellen Gewohnheiten ihrer Anhänger beschäftigten. Im System der ISKCON-Schulen
existierte ein tragisches Problem mit Kindesmißbrauch. Wie der Psychotherapeut
A. W. Richard Sipe bemerkt: Organisationen wie die katholische Kirche (und ISKCON)
verlangen den Zölibat, aber schulen nicht für diese Lebensweise. Ein ISKCON-Mitglied,
angeklagt des Kindesmißbrauchs, versuchte vor Gericht, sich damit zu verteidigen,
daß es die Unterdrückung der Sexualität in der ISKCON war, die ihn zum Mißbrauch
von Kindern trieb. Dies mag zutreffend sein, aber der Richter verurteilte ihn
dennoch zu einer Haftstrafe.
Führen Sie Ihre
Krankheit immer mit sich
Schaef legt dar, daß eine
Organisation als Ganzes immer "süchtiger" wird, wenn suchtkranke Menschen
gestörtes Verhalten "mit zur Arbeit nehmen". Sie sagt, für Süchtige,
Kodependente und erwachsene Kinder aus Alkoholikerfamilien sei "jede Person,
die sich nicht aktiv um Genesung bemüht, möglicherweise Teil des Problems".
Die Organisation wird zu einer Klinik für Krisenfälle, in der jeder den Tumult
durch seine eigenen Ängste und Störungen verschärft.
Einige Mitglieder der
ISKCON waren süchtig, ACoAs oder Kodependente bereits bevor sie
in die Organisation eintraten. Viele konsumierten Drogen und viele hatten eine
schwierige Jugendzeit. Einige könnte man als "Aussteiger" bezeichnen,
aber derartiges Verhalten war typisch für die Zeit der 1960er und 1970er Jahre,
die Zeit des größten Zulaufs für die ISKCON. (Trotz ihrer Struktur als suchterzeugende
Organisation hatte die ISKCON auf viele der Menschen, die der Gruppierung beitraten,
einen positiven Effekt. Dies jedoch ist ein völlig anderes Thema).
Schaef definiert Kodependente
als "Dienende, freiwillig Helfende und Menschen, die ihre eigenen Bedürfnisse
hintanstellen, im Dienste der Bedürfnisse der Anderen". Die ISKCON bestärkt
ihre Mitglieder darin, sich selbst als "Diener Gottes" und "Diener
des Gurus" zu betrachten. Dies ist eine grundlegende Lehre der überlieferten
Philosophie {der bhakti, der im Hinduismus gelehrten Hingabe an Gott},
aber im Kontext einer spirituellen Organisation, die materialistisch geworden
ist, ist "Diener sein" gleichbedeutend mit "Kodependenz".
Die Jünger mußten hinwegsehen über die Handlungen von Gurus, die nicht einmal
in der Lage waren, die Grundregeln {kein Fleisch, keine Rauschmittel, keine Glücksspiele,
kein Sex} einzuhalten.
Schaef zeigt spezifische
Verhaltensprobleme auf, die erwachsenen Kindern aus Alkoholikerfamilien und Kodependenten
am Arbeitsplatz begegnen können. Erwachsene Kinder aus Alkoholikerfamilien können
beispielsweise eine Obsession entwickeln für Perfektionismus, übermäßige Strenge
mit sich selbst, Arbeitswut und Rigorosität in ihrer Gedankenführung. Kodependente
können sich verhalten wie "die Ehefrau eines Suchtkranken", die den
Süchtigen beschützt und sich Ausreden ausdenkt, um für sein fragwürdiges Benehmen
eine Entschuldigung zu liefern. Ich [Nori Muster] kam zu dem Schluß, daß dies
bei mir durchaus der Fall war. Kam mir ein Gerücht über meinen Guru oder eine
andere Autoritätsperson mir zu Ohren, so gab ich mir Mühe, es zu verdrängen oder
zu zerstreuen. Unser Büro [das ISKCON-Büro für Öffentlichkeitsarbeit] verfaßte
offizielle Mitteilungen an die Medien, in denen die Vorwürfe offiziell dementiert
wurden. Mein Mann und ich "übertünchten" als Herausgeber der ISKCON-Zeitung
routinemäßig Korruption/moralische Verderbnis [corruption] oder Abweichungen.
Diese Parteilinie trug die Zeitung bis 1986, als wir in dem Versuch, redaktionelle
Unabhängigkeit zu entwickeln, damit begannen, Interviews, Editorials und Artikel
zu veröffentlichen über die Probleme in der ISKCON.
Teil
2: ISKCON als Suchtmittel
Schaef legt dar,
daß eine Organisation mehr sein kann als nur ein Schauplatz suchthaften Verhaltens.
Auch die Organisation an sich kann zu etwas werden, nach dem man süchtig wird.
Für einen Menschen, der nach Arbeit süchtig ist (Workaholic), kann Arbeit - wie
eine Droge - lebensbeherrschend werden. Nach Schaef ist Arbeit der "Kitt",
den der nach Arbeit Süchtige braucht, um "klarzukommen, Erfolg zu haben,
seinen Gefühlen aus dem Weg zu gehen und es letztendlich zu vermeiden, 'wirklich
zu leben'." Workaholics neigen zum Verlust des Gefühls für die anderen
Aspekte ihres Lebens; sie können dazu tendieren, alles aufzugeben, was sie
vorher kannten, was sie vorher fühlten und woran sie zuvor geglaubt haben. Devotees ["die sich Krishna hingeben" - von lat./engl.
devotion - Hingabe] werden belobigt, wenn sie
- wie Workaholics - die Organisation [ISKCON] zum Ein und Alles in ihrem Leben
machen. Wie Workaholics können auch Devotees [ISKCON-Jünger] dazu neigen,
alles, woran sie früher geglaubt haben, über Bord zu werfen. ISKCON und andere
[destruktive] Kulte werden von Kritikern angeschuldigt, sie würden ihre
Mitglieder "einer Gehirnwäsche unterziehen" und "Zombies aus ihnen
machen". Doch die Erklärung, die Schaef bietet, ist möglicherweise stichhaltiger.
Devotee-Neulinge können erwachsene Kinder aus Alkoholikerfamilien oder "Mit-Abhängige"
sein, die für addiktive Systeme eine Prädisposition aufweisen {bei
denen es aufgrund gewisser Vorbedingungen wahrscheinlicher ist als bei anderen,
daß sie in einem System von Zwang- und Suchthaftigkeit landen}. Eine
Folge der Entscheidung, sich vollständig in das neue System hineinzubegeben, mag
Zurückweisung durch Familie und Freunde sein. In einer Dissertation zur Erlangung
der Doktorwürde im Fach Philosophie (Ph. D.) legte A.S. Weiss 1984 dar, daß
Zwanghaftigkeit das Wesensmerkmal der ISKCON-Devotees ist. Die stereotype
Vorstellung, Mitglieder [destruktiver] Kulte seien seelenlose Roboter ohne
Hirn, wird von Weiss' Forschungsergebnissen widerlegt. Die Ergebnisse seiner Forschungen
stimmen hingegen mit jenen von Schaef überein über kodependente Menschen und erwachsene
Kinder von Alkoholikern am Arbeitsplatz. Folgt man den Theorien von Schaef und
Weiss, so wäre es klüger, Devotees als hartarbeitende, intelligente Menschen aufzufassen,
Gefangene eines addiktiven Systems, das "Workaholismus" fördert.
Laut Schaef besteht für
eine Organisation eine andere Möglichkeit des Süchtigmachens darin, daß sie ihren
Anhängern Dinge verspricht, welche sie in ihren Familien nicht bekommen haben:
Anerkennung, Betreuung und das Gefühl "hierherzugehören". Für Organisationen,
welche scheinbar "eine große, glückliche Familie" sind, sind Menschen
aus gestörten Elternhäusern die bestangepaßten Mitglieder. Die Organisation ist
"die ISKCON-Familie" im Sprachgebrauch von ISKCON-Mitgliedern. Jedes
Mitglied ist ein "Gottbruder" bzw. eine "Gottschwester", und
Prabhupada wird als der "spirituelle Vater" aller ISKCON-Devotees bezeichnet.
Die Vorstellung von ISKCON als einer großen Familie - die Führer der leitenden
Körperschaft machen sie sich zunutze, um die Einheit innerhalb der Organisation
zu stärken. Als die Organisation nach Prabhupadas 'Fortgang' Zerfallserscheinungen
zeigte, wurde dies zu einer Form der Verdrängung der Wirklichkeit. Das Idealbild
der "ISKCON-Familie" funktionierte wesentlich besser als ihre Realität.
Bedauerlicherweise kann - wie Schaef darlegt - eine suchterzeugende Organisation
die Rolle einer Familie nicht ausfüllen. Schaef schreibt:
"Es ist eine Familie, in der die Mitgliedschaft abhängig ist von der Unterwerfung {des einzelnen}
unter eher rigide Regeln und der Ausrichtung des Verhaltens an etablierten Normen.
Eine solche Firma ist eine "Familie", die auf Kontrolle basiert. Akzeptanz
gewinnt man darin, indem man (genau wie in einer dysfunktionalen Familie) erlernt,
was das "richtige" Verhalten ist, und es kopiert. Das Wichtigste, das
man aus den Versprechungen der Organisation über die {Zugehörigkeit zu einer}
"Familie" lernen kann, ist, daß die Mitgliedschaft davon abhängt, daß
man nicht man selbst ist und nicht seinem eigenen Pfad folgt. Die andere wichtige
Lektion, die wir daraus ziehen, ist, daß wir verinnerlichen, "außerhalb unserer
selbst zu stehen", beständig darauf bedacht, die Dinge zu tun, durch die
uns die Gnade der Firma erhalten bleibt und durch die wir Anerkennung erlangen."
Grundvoraussetzungen für
die Mitgliedschaft in der ISKCON-Familie waren Kontrolle und Konformität. Die
Familie hatte für jeden Aspekt des Lebens rigide Anforderungen, z. B. für die
Gottesdienste und Zusammenkünfte im Tempel, die Arbeit im Tempel, das Aufgeben
des Lebens "draußen", die Kindererziehung, was man anziehen, was man
essen, und sogar was man denken und wie man beten sollte. Teilnahmeverweigerung
und Nicht-Unterwerfung unter diese Regeln konnte Bestrafung oder einfach einen
Tadel nach sich ziehen. Derartige Mißbilligung kam oft als "Zurechtweisung"
oder Strafpredigt von einem "erfahreneren" Devotee. Einige verloren
ihre finanzielle Unterstützung, andere wurden körperlich oder seelisch mißbraucht;
ein Mann wurde für seine abweichende Meinung ermordet. Um es vorsichtig auszudrücken:
Mitglieder, die nicht in der Lage waren, die "Gesetze" einer Organisation
zu erfüllen, fanden sich in einer sehr ungastlichen und lieblosen Umgebung wieder.
Schaef bietet eine Erklärung
an, wie eine Organisation sich als abhängig machender Stoff für potentielle "Konsumenten"
präsentiere. "Das große Versprechen" ist die Illusion, die "sich
uns begierig auf die Zukunft ausrichten läßt, auf eine zu erhoffende Belohnung,
und die uns dabei unseren 'Touch' mit der Gegenwart verlieren läßt."
In einer auf Gewinn
ausgerichteten Firma kann die Verheißung darin liegen, daß man Macht, Geld und
Einfluß verspricht. In der ISKCON wird "das große Versprechen" religiös
übersetzt: Befreiung von Geburt und Tod, Nähe zu Gott, und die Überwindung des
Leids. Ein weiterer Aspekt des "großen Versprechens" ist die Definition
der Organisationsaufgaben und Ziele. Das Ziel, das die Organisation verfolgt,
ist der Grund ihres Existierens und ihr Antrieb. Zu den Missionszielen, die im
ISKCON-Magazin "Back to Godhead" {"Zurück zu Gott", d. h.
"Krishna"} abgedruckt sind, gehören "die Einheit der Menschheit"
und "der Weltfrieden". Ein ehrbares Ziel, aber kaum erreichbar. Andere
Missionsziele (nirgendwo veröffentlicht, aber dennoch von vielen Mitgliedern geteilt)
sind die Einleitung eines erleuchteten Zeitalters, die Verbreitung von Krishna-Bewußtsein
[= Religion der ISKCON] in Regierungskreisen und der Erwerb politischer Macht,
die Wahl [!!!] eines Devotees zum Präsidenten der USA [??? Demokratisch gewählte Führer sind, anders als "rechtschaffene Könige",
nicht Bestandteil des indischen Kastensystems und damit nicht von Gott legitimiert.], Eröffnung von [Hare Krishna-] Tempeln in jeder Stadt auf
der Welt, Etablierung des Krishna-Bewußtseins als stärkste Religion der Welt,
um schlußendlich die Welt zu retten.
Üblicherweise werden
die Missionsziele ins Unendliche aufgeblasen, und diese Übertreibung führt bei
der Gruppe, mögen deren Ziele auch verstiegen und unrealistisch bleiben, zu einer
ungeheuerlichen Selbstüberhebung, Nach Prabhupadas Tod glaubten viele Führer der
ISKCON an einen bald eintretenden, alleszerstörenden Dritten Weltkrieg. Überlebende
dieser Katastrophe würden nur Devotees sein, um neue Welt zu errichten. Dieser
Weltuntergangsglaube ist ein Symptom für die Frustration darüber, daß die vorgeblichen
Ziele so überhöht sind. Er ähnelt dem Glauben evangelikaler ("bibeltreuer")
Christen an die Neuordnung der Welt nach der Apokalypse. Für Mitglieder dysfunktionaler
Organisationen kann die Fixierung auf den Weltuntergang eine Möglichkeit sein,
umzugehen mit ihrem Schmerz und ihren Frustrationsgefühlen darüber, daß nicht
wirklich etwas geschieht, um den Eintritt der vorgeblichen Ziele zu beschleunigen.
Schaef benennt die Überhöhung der Mission als den "Kitt" der Mitglieder
oder den "Leim, auf den sie gehen", um überzeugt zu werden von der Wichtigkeit
ihres Tuns. Sie erläutert, daß, ganz egal wie kläglich die Organisation auch funktionieren
mag, alles in Ordnung bleibt, solange nur die Mission - als der "Hausgott"
- in ihrem Schrein verbleibt. Die Aufgabe wird in der ISKCON verehrt, als wäre
sie ein Gott; mitunter wird die ISKCON als "Prabhupadas Leib" bezeichnet
oder als "eine Inkarnation Krishnas". Der Verlag der ISKCON, der BBT
[Bhaktivedanta Book Trust], gilt als "Prabhupadas Herz". Strenggläubige
Anhänger benutzten Zitate aus den Schriften [aus den krishnaitischen Schriften "Bhagavad-Gita"
und "Bhagavatam"] als Beleg für die
Aufgaben und Ziele der ISKCON. Indem sie die Schriften zitierten, versuchten sie,
andere zu überzeugen, daß die Mission immer noch intakt war, selbst als sie immer
weniger und weniger funktionierte. 1988 fragte ein Anhänger in einer Diskussion
über die Probleme in der ISKCON, ob man denn die Schwierigkeiten jemals in Ordnung
bringen würde. Der Sprecher, ein Repräsentant der Leitenden Körperschaft, benutzte
eine "Prabhupada hat gesagt"- Phrase, um den Fragenden zu überzeugen,
daß die ISKCON, ihre Mission und ihre Ziele noch immer intakt waren. [Ganz
gleich um welches Problem es sich auch handelt, es wird gern auf irgendeinen von
A. C. Prabhupadas zahlreichen Aussprüchen zurückgegriffen, zumeist mit der Begründung
"Prabhupada hat gesagt"]
Frage: "Sie
äußern, daß man Dinge in Ordnung gebracht hat, aber... es dauerte acht Jahre!
Wenn irgend etwas anderes schiefläuft, dauert es vielleicht wieder acht Jahre
- bis Sie alle Probleme gelöst haben, bin ich vielleicht schon tot."
Antwort:
"Stimmt, aber zumindest kommen die Dinge in Ordnung... Prabhupada hat uns
eine sehr simple Formel geschenkt: "Chant and be happy!" [Sing Hare
Krishna und freu dich!]. Wer kann uns vom Chanten abhalten? Hat dich jemals einer
am Chanten gehindert? [chant = engl. "Singsang,
Sprechchor" bzw. "etwas wiederholt singen, skandieren"] Hat
dir jemals einer gesagt, du dürftest nicht "Hare Krishna" singen, und
würdest im Chanten keine Freude finden? Ich meine, wo liegt unser wahres Glück?
Es liegt in unserem Krishna-Bewußtsein. Unser Krishna-Bewußtsein ist in Wahrheit
unsere einzige Sorge, und niemand kann uns daran hindern, krishna-bewußt zu werden.
Wenn wir Devotees werden, dann kommen automatisch alle unsere Probleme in Ordnung."
Laut Schaef ist
der Prozeß des Süchtigmachens immer dann im Gange, wenn "das große Versprechen"
herhalten muß, um Probleme und Unzulänglichkeiten innerhalb der Organisation zu
vertuschen. Im Beispielfall bediente sich der ISKCON-Führer eines Gedankens, der
für die Gläubigen höchste Glaubwürdigkeit besitzt [die
Heiligkeit des Mantras und das beim Singen auftretende Gefühl von Freude] und verwandelte ihn in eine "Mißbrauchssubstanz" [weil der Gläubige, wenn ihn jetzt berechtigte Zweifel plagen,
immer auf das Mantra zurückgreifen "muß"].
Ein anderer Aspekt
des "Doppelspiels" zeigt sich bei den Zielen, die bei zunehmender Selbstzentriertheit
der Organisation und immer stärker werdenden moralischen Einbußen immer mehr verzerrt
werden. Die Organisation entwickelt "durch die Hintertür" Motive, welche
Schaef "unausgesprochene Ziele" nennt. Während die Organisation alle
Aufmerksamkeit auf ihre grandiose "offizielle Mission" lenkt [die Welt retten], verfolgt
sie im Geheimen ihre verborgenen Ziele. Wenn die Diskrepanzen offensichtlich werden,
beginnen dysfunktionale Organisationen mit der Verleugnung. Zu den "unausgesprochenen
Zielen" von ISKCON zählten beispielsweise der Erwerb von Geld und Grundbesitz.
Als die 11 Gurus im Jahre 1977 die ISKCON unter sich aufteilten, begannen sie
damit, untereinander zu konkurrieren, wer aus seiner auf Flugplätzen und Parkplätzen
bettelnden Anhängerschar das meiste Geld herausholen könne. Sie nannten es einen
"transzendentalen Wettbewerb" (transcendens
- lat. "überschreitend", "über [das bloße Körperliche] ... hinausgehend") und behaupteten, sie täten es für Gott. [Alle Tätigkeiten, die zum Wohle der ISKCON getan werden, sind "transzendental"] Das Geld ging drauf für Grundstücke, u. a. für Schlösser und Burgen in Europa.
Jeder Guru war verpflichtet, ein Landgut zu erwerben als Zufluchtsstätte vor der
nahenden Apokalypse. Regelmäßig brachte unsere Zeitung Artikel über Schauspielerinnen
und Schauspieler, Models, Rockstars, Gelehrte und Regierungsmitglieder, die das
Krishna-Bewußtsein [die ISKCON-Religion] befürworteten.
Laut Schaef werden
Arbeiter mutlos, wenn sie begreifen, wie viel Zeit sie mit der Arbeit für verborgene
Ziele zubringen. Um ganz genau zu sein: Laut Schaef kann dieser Dualismus dazu
führen, daß man den moralischen Kompaß und sein "Gefühl" für Religion
verliert. Bei den Anonymen Alkoholikern nennt man dies "moralischen Zerfall".
Häufig wurden ISKCON-Mitglieder mutlos bei stundenlanger Arbeit als Geldsammler.
Manchmal bekamen sie von Führern gesagt, sie sollten ihre Zugehörigkeit zu ISKCON
verbergen [Perücken tragen, keine Stirnbemalung,
"zivile" Kleidung], da das, was sie taten ["Spenden"
sammeln unter falschem Namen] gesetzwidrig war
oder zumindest irreführend. Dennoch billigte die Organisation solche Aktivitäten;
Mitglieder bekamen von den Führern gesagt, Fundraising sei eine Form des Predigens.
Solche "Missionare" erlitten häufig einen "Burn-out" und kehrten
ISKCON den Rücken, da sie die betrügerischen Fundraising-Praktiken [Bettelbetrug] nicht mit der vorgeblichen spirituellen Zielsetzung
der Organisation in Einklang bringen konnten. Nach Schaef ist Sucht spirituelles
Leiden. Sie schreibt:
"Wann immer wir die
Religion (religion) mißverstehen als Religiosität (spirituality),
entscheiden wir uns für ein suchterzeugendes System, mit seiner Struktur, seine
Kontrollmechanismen und seine Gesetze. Diese äußerliche Abhängigkeit von "der
Religion" kann uns weit entfernen von der inneren Suche, die man nur für
sich vollführen kann, die Suche im tiefsten Inneren unseres eigenen Wesens."
Teil
3: ISKCON als suchtkranke "Person"
In ihrer Betrachtung süchtigmachender
Organisationen geht Schaef davon aus, daß mitunter eine Organisation selbst zu einem "Süchtigen" werden kann, der alle Symptome einer Sucht
zeigt. Sie verliert über ihre Probleme die Kontrolle; ihre "Krankheit"
verschlimmert sich immer weiter; für Wertvorstellungen und moralisches Verhalten
verliert sie jeglichen Sinn; ihre Antriebsmotoren sind in erster Linie Selbstbezogenheit,
die Illusion, alles im Griff zu haben, Denken in dualistischen Mustern, und Isolation;
Wirrheit, Offensivität und Paranoia [Verfolgungswahn] prägen ihr Denken; über
ihre Mitglieder übt sie immer stärkere Kontrolle aus. Wichtige Wesenszüge einer
süchtigen Organisation sind Verdrängung und Unaufrichtigkeit. Schaef legt dar,
daß eine Organisation, die sich weigert, die wirkliche Situation zu erkennen,
ebenso wie ein Individuum in einen Zustand der Verdrängung eintritt {indem sie
vor der Wahrheit die Augen verschließt}. Und wenn man eine solche von Verdrängung
geprägte Betrachtung der Lage einen anderen Menschen als Wahrheit einredet, so
ist dies ein Beispiel für Unaufrichtigkeit. Das ISKCON-Büro für Öffentlichkeitsarbeit
hatte als Hauptaufgabe, den Mitgliedern von ISKCON und der Außenwelt einzureden,
alles wäre in Ordnung, wenn es doch nicht in Ordnung war. Aber dies war nicht
nur so im PR-Office; andere ISKCON-Führer verstrickten sich in Ableugnungen und
Unehrlichkeit. Viel Verdrängung gab es, als die ISKCON von ihrer stärksten Krise
erschüttert wurde - ab 1985. Gegen die Leitende Körperschaft begehrten zu dieser
Zeit mehrere hundert Mitglieder der ISKCON auf. Der GBC warfen sie in einem speziellen
Treffen vor, mehreren Gurus die gesamte Macht einzuräumen. Auf dieses Aufbegehren
antwortete die GBC mit dem Hinauswurf von vier der 11 {ursprünglichen} Gurus und
der Einsetzung 30 andere Männer als neue Gurus. Auch in die Reduzierung der kultische
Verehrung und den Ehrerbietungen durch ihre Jünger willigten mehrere Gurus ein.
Dies nannte man die "Guru-Reformbewegung" (Guru Reform Movement); es
folgte eine Zeit von Aufruhr, Verwirrung und Grabenkämpfen. Ein Sprecher der GBC
machte 1988 gegenüber einer Gruppe von Devotees folgendes Statement:
"1986 hatte die ISKCON
einen sehr kritischen Punkt erreicht - den tiefsten Punkt der Krise. Und letztes
Jahr, 1987, schien es, als fiele alles auseinander. Niemand wußte wirklich, wie
man die ISKCON retten sollte, aber irgendwie, durch Krishnas Gnade, wurde die
Gesellschaft bewahrt. Und heute, 1988, sehen wir, es wird besser. Und wir werden
sehen, da ich bin sicher, alles wird besser im Laufe der Zeit. Unser Geist schwingt
im Hochgefühl, obwohl wir sehr viel verloren haben; sehr viele Besitztümer; sehr
viele Devotees. Aber dennoch, diejenigen, die noch da sind, sie sind sehr, sehr
stark geworden, und ihre Überzeugung sehr, sehr fest. Alles wird besser, und in
Zukunft werden die Dinge immer besser werden."
Werden Unaufrichtigkeit
und Verdrängung zur Norm, dann glauben - laut Schaef - die Mitglieder, die Organisation
könne nicht überleben, sprächen sie nur die Wahrheit. Dies ist eine Erklärung
dafür, warum manche Führer {der ISKCON} nicht wollten, daß wir in der ISKCON-Zeitschrift
Informationen unverfälscht brachten. Im Jahre 1988, kurz vor meinem Austritt,
nannte mich der Vorsitzende der Leitenden Körperschaft eine "Journalistin
auf Kreuzzug, die allen Dreck hochwühlt und alles zur Schau stellt". Er sagte,
die GBC könnte dies nicht tolerieren in der offiziellen Zeitung der ISKCON.
Schaef legt dar, daß unaufrichtiges
Verhalten von der Sucht herrührt, alles perfekt zu machen. Die Illusion, alles
sei perfekt, kann nur aufrechterhalten werden, wenn man Informationen zurückhält,
die dies in Frage stellen. Die Anführer einer Organisation, die an sich selbst
süchtig ist, können folglich eine Obsession entwickeln für Verleugnung und Unaufrichtigkeit
sogar bei Kleinigkeiten, immer zur Wahrung des schönen Scheins.
Mitglieder einer
Organisation, die von Suchtmechanismen bestimmt wird, leben häufig mit Ängsten
und fühlen sich unter Druck gesetzt. Jedoch verlieren sie häufig die Fähigkeit,
diese Gefühle richtig wahrzunehmen, da eine solche Organisation wirkliche Gefühle
nicht zuläßt. Wenn jemand bei ISKCON äußert, er sei unglücklich, dann bekommt
er gesagt, er solle die {religiösen} Schriften lesen oder {den Hare-Krishna-Mantra}
chanten. In diesem Zusammenhang wird oft ein Vers aus den heiligen Schriften zitiert,
der besagt, man solle sich "jemandem anvertrauen" -- aber wie sie diese
Anweisung umsetzen sollen, sagen die Führer der ISKCON ihren Anhängern nicht.
Für ISKCON-Mitglieder wären Zusammenkünfte gut, die ähnlich strukturiert sind
wie die "12 Schritte" [der Anonymen Alkoholiker]; in
diesen könnten sie lernen, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken.
Chaotische Kommunikationsprozesse
sind eines der wichtigsten Kennzeichen einer Organisation, die an sich selbst
süchtig ist. Anstelle von direkter und aufrichtiger Kommunikation herrschen Geheimniskrämerei
und Gemunkel. Dies ist in ISKCON
noch immer der Fall, und es fängt an bei den Leuten an der Spitze. Die Mitglieder
der Leitenden Körperschaft machen um das, was bei ihren Sitzungen vorgeht, ein
großes Geheimnis. Sie diskutieren über die Geheimnisse der Organisation, halten
die Informationen aber anschließend zurück. Zu ihren Sitzungen sind keine Außenstehenden
zugelassen - selten erlauben sie Besucher und machen ihre Protokolle nicht öffentlich.
Nur diejenigen, die "in der GBC Freunde haben", dürfen die Protokolle
lesen. Und sogar dann erscheinen einige Beschlüsse ganz einfach mit dem Vermerk
"Nicht für die Öffentlichkeit bestimmt". Folglich kann über die verborgenen
Geheimnisse der GBC niemand etwas erfahren. Ich persönlich unternahm den Versuch,
in der ISKCON- Zeitschrift mehr journalistische Offenheit zu wagen, um mit all
den Geheimnissen und Gerüchten aufzuräumen. Wir beabsichtigten, mit den Mitgliedern
der Leitenden Körperschaft Interviews zu führen, aber sie verweigerten dies. Wir
versuchten, Veröffentlichungen über die Ergebnisse ihrer Treffen zu bringen, aber
sie hielten uns davon ab. Der Widerstand, dem wir begegnen, war für uns der Beweis,
daß die Leitende Körperschaft nicht wollte, daß ihre geheimen Beschlüsse an die
Öffentlichkeit gelangen. Es war auch für mich der Grund zu glauben, daß die Mitglieder
der Leitenden Körperschaft wünschen, daß die Verwirrung innerhalb der Organisation
erhalten bleibt. Schaef legt dar, daß "klare Worte", Aufrichtigkeit
oder Direktheit innerhalb von Organisationen, die an sich selbst süchtig sind,
nicht geduldet werden können. Dies traf zu auf die Zeitschrift, und es war auch
zutreffend für Individuen. Von "guten" Devotees wird erwartet, über
die Organisation oder ihre Führer nichts "Blasphemisches" zu sagen.
Ein anderes Charakteristikum
für eine addiktive Organisation ist ein beständiger Zustand der Krise. In einem
System, das beherrscht wird von Chaos und (Selbst-) Betrug, das nicht in der Lage
ist, ein Problem direkt anzugehen, läßt man jedes Problem so lange schleifen,
bis es sich einfach nicht mehr ignorieren läßt. Eine offene Stromrechnung rückt
beispielsweise erst dann ins Blickfeld, wenn die Stadtwerke den Strom abstellen.
Schaef erklärt, daß erwachsene Kinder aus Alkoholikerfamilien mit solchen Krisen
"hervorragend" umgehen können, da sie - bei ihren gestörten Familienverhältnissen
- ihr Leben lang nichts anderes gemacht haben. Die Geschichte der ISKCON und ihre
Beziehung zur öffentlichen Meinung ist eine einzige Abfolge von Katastrophen.
Zwei Monate nach meinem Eintritt bei der ISKCON ereignete sich die Tragödie von
Jonestown [In Jonestown, Französisch-Guyana, verübten
1978 die Anhänger des "Tempels des Volkes" unter Jim Jones gemeinschaftlich
Selbstmord. Der Massenselbstmord der "Volkstempler" erregte, ähnlich
wie die Tragödie der "Davidaner" in Waco und der kollektive Selbstmord
bei "Heaven's Gate", ungeheures Medienaufsehen und Diskussionen in der
Öffentlichkeit]. Lange Zeit hatte man die Tatsache,
daß die ISKCON im öffentlichen Ansehen als [destruktiver] Kult galt, bewußt übersehen,
und als nun die Medien zum "Schlag gegen die Sekten" ausholten, wurde
die ISKCON zur Zielscheibe, stellvertretend für alle destruktiven Kulte. Nach
den Ereignissen von Jonestown wollte ein Fotograf des "Life Magazine"
eine Fotoreportage anfertigen über das ISKCON-interne Schulsystem. Wir bekamen
Panik, denn wir wußten, daß der Ruf der Schule zweifelhaft war; nach negativen
Medienberichten hatte man bereits unsere größte Schule in Dallas dichtgemacht.
In Windeseile mußte unser Beauftragter für Öffentliche Angelegenheiten nach New
York reisen, für einen Deal mit den Anwälten des "Life Magazines". Als
nächstes versuchten die Leiter der Flughäfen, bettelnde Hare Krishnas aus den
Airports zu vertreiben - eine Katastrophe, da die Bettelei an Flughäfen für die
ISKCON die einzige Möglichkeit war, an Geld zu kommen. Dann, ein anderes Mediendesaster
- die Entdeckung eines Waffenarsenals bei einem Guru in Nordkalifornien. Das nächste
Desaster - die Sicherstellung einer riesigen Menge Haschisch in Laguna Beach.
Daß es in der Organisation Drogenhandel gab, hatten die Führer der ISKCON lange
Zeit bestritten - es wurde erst dann zum "Problem", als man "ehemalige"
Mitglieder mit Drogen schnappte und ins Gefängnis warf. Das nächste Mediendesaster
stand im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren, einer Klage gegen die ISKCON
wegen "Gehirnwäsche". All dies ereignete sich zwischen 1978 und 1983.
Die Jahre davor und danach verliefen ähnlich. Obwohl die Organisation pro Jahr
durch die Medien mehrere Krisen erlitt, teilte uns die Führung pro Monat nur ca.
1000 bis 2000 US-Dollar für Öffentlichkeitsarbeit zu. Häufig gab der örtliche
Guru uns die Schuld an den Problemen und drohte uns; machten wir unseren
Job nicht besser, dann nähme er uns unsere finanziellen Mittel gänzlich weg. Die
ISKCON war beherrscht von Verdrängung, und stand da ohne vernünftigen public relations-Plan.
Ein anderer Aspekt einer
suchthaften Denkwelt ist Projektion. Nach Schaef liegt Projektion vor, wenn man
etwas aus sich selbst herausnimmt und es außerhalb seiner selbst plaziert. In
der ISKCON tritt Projektion auf, wenn jemand die Gruppe verläßt. Die, die noch
"drin" sind, sagen, der Ausgestiegene sei ein Dummkopf, habe seine Religiosität
verloren, habe einen Fehler gemacht oder sei einfach nicht fromm genug. Projektion
tritt auch auf, wenn jemand innerhalb von ISKCON äußert, die "Außenwelt"
sei unlauter, sündhaft und verkommen. Schaef legt dar, daß eine Organisation,
die an sich selbst süchtig ist, unwillig ist, den Blick auf sich selbst zu richten
und deswegen stets die Schuld stets bei anderen sucht.
Devotees zerstreuen
negative Medienberichte als "dämonische Versuche, die ISKCON in Mißkredit
zu bringen". Das Denken in dualistischen Schemen, ein weiterer Wesenszug
"süchtiger" Systeme, ist ebenfalls in der ISKCON präsent: Die ISKCON
lehrt ihren Mitgliedern zu denken in Kategorien von "wir" und "sie".
Laut Schaef führt dies zur Schaffung von "Seiten" [wobei man selbst
auf der "richtigen" Seite steht] und Feindbildern. Jedoch ist dies dem
Süchtigen von Vorteil, da es das Treffen von Entscheidungen erleichtert. Alles
ist entweder schwarz oder weiß, ohne Raum für Zwischentöne oder Doppeldeutigkeit.
Das Denken in den Kategorien von Schwarz und Weiß ist es, das die ISKCON daran
hindert, mit der sie umgebenden Gesellschaft Bündnisse einzugehen. Mehrere Jahre
lang bemühten wir uns um Kontaktpflege zu Tierrechtlern und Vegetariern, luden
sie ein, für unsere Zeitung Artikel zu schreiben [weil die Lehren des Hinduismus Gewalt gegen Tiere verbieten]. Leider regte sich eine Fraktion unserer Leserschaft lautstark
darüber auf - wozu denn Artikel über Tierrechte? Es hieß, in der Zeitschrift der
ISKCON hätten "solche Leute" nichts verloren.
Vorschnelle Urteile
sind eine Konsequenz von Projektionen und dem Denken in Schwarz-Weiß. Vorverurteilung
bedeutet, etwas einfach deswegen als schlecht zu beurteilen, weil man anderer
Meinung ist. Menschen außerhalb der ISKCON sind nicht einfach "anders",
sie sind minderwertig und schlecht. Die Bezeichnung für Menschen außerhalb von
ISKCON ist "karmi" (Menschen, die sich mit "Karma" beschäftigen
und nicht mit "Yoga"). {"Karma" bedeutet "Tätigkeit"; "Yoga"
bedeutet "Verbindung, Einung". Grundgedanke dieser Philosophie ist,
daß der Mensch deswegen leidet, weil er sich von der Gottnatur entfernt hat. Ein
solcher Mensch handelt "auf eigene Rechnung" und muß die Konsequenzen
seiner Handlungen erdulden; er handelt im "Karma". Ein Mensch, der seine
wahre Natur erkannt hat, handelt im Einklang mit dem Willen Gottes; er ist mit
Gott "verbunden" und seine Handlungen ziehen, ebenso wie die Handlungen
Gottes, keine Konsequenzen (im Sinne einer göttlichen Belohnung oder Bestrafung)
nach sich.- Karmi, "Tätiger", ist hier ein abwertender Begriff
für Menschen, die keine Mitglieder der ISKCON sind.}
Auch Menschen innerhalb
der ISKCON, die die Anpassung an die strikten Verhaltensregeln nicht hinkriegen,
werden als schlecht verurteilt. Häufig bezeichnet man sie als fringies,
"Gratwanderer" - Leute, die auf dem schmalen Grat (fringe) wandeln
zwischen "erlaubt" und "verboten" .
Die Vorverurteilung der
Außenwelt ist ein Grund dafür, warum die Tempel der ISKCON keine breitgefächertere
Gemeinde anlocken. Geblendet von ihrer abwertenden Einstellung gegenüber anderen,
strahlen die Vollzeit-"Devotees" Geringschätzung aus gegenüber jedem,
der nicht sofort alles aufgibt, um als Vollzeitmitglied im Tempel zu leben,. Dieser
abwertende, herablassende Blick hat frühere Vollzeitmitglieder, die sonst einem
Platz in der Gemeinde finden würden, von der Gemeinde entfremdet. Schaef sagt,
daß vorschnelle Urteile das Wachstum verhindern, die Kreativität blockieren und
die Menschen in der Organisation gegeneinander aufbringen. Leider hat die Tatsache,
daß sich die ISKCON der Außenwelt gegenüber "suchtkrank" verhält, die
Organisation isoliert und ohne Freunde zurückgelassen. Mit Schaefs Worten: "Es
führt dazu, daß man festsitzt."
Schlußfolgerungen
Schaef empfiehlt,
daß religiöse und spirituelle Gemeinschaften sich zunächst auf die Spiritualität innerhalb der Gruppe konzentrieren sollten, bevor sie damit anfangen,
anderen zu predigen. Dem stimme ich zu. Da nach der Selbstdarstellung der ISKCON
der Zweck der Gemeinschaft in der Verbreitung spiritueller Lehren besteht, sollten
die spirituellen Standards der Gemeinschaft eigentlich hoch sein. Leider sehen
die Führer der Organisation dies nicht als vorrangig an. Wie es einmal ein Führer
der ISKCON ausdrückte: "Es ist leicht, anzunehmen, daß es in der ISKCON Probleme
gibt, aber die gibt es in jeder Organisation. Hat irgend jemand behauptet, in
anderen Organisationen würde es keine geben?" Das ist, als würde man sagen:
"Es mag ja sein, daß die ISKCON eine suchterzeugende, kranke Organisation
ist, aber es gibt Organisationen, die sind schlimmer." Indem ein System
zur Erzeugung und Aufrechterhaltung suchtartiger Religiosität beibehalten wird,
betrügt die ISKCON Menschen, die der Organisation aufgrund einer echten spirituellen
Suche beitreten. Schaef hebt auch hervor, daß suchterzeugende Organisationen
dazu tendieren, ihre besten Arbeiter hinauszuwerfen. Dies ist einer der Effekte
des suchterzeugenden Systems in der ISKCON. Wenn es der Organisation nicht gelingt,
sich selbst zu heilen, wird sie aufhören zu existieren. Diejenigen, die heute
noch dabei bleiben, tun dies, weil sie daraus Vorteile in Form von Geld oder Bewunderung
ziehen. "Normale" Mitglieder treibt die materielle Not aus der Organisation,
während die Anführer noch immer finanzielle Unterstützung von den Tempeln oder
ihrer Anhängerschaft erhalten. Unter den Kritikern der ISKCON ist es gängige Rede,
die alten Führer seien "Dinosaurier, denen allmählich die Wasserlöcher ausgehen."
Wahr ist, daß die Organisation allmählich bankrott geht und verzweifelt um Mitglieder
und Grundbesitz kämpft.... {Die ISKCON hatte mit
Zivilklagen zu kämpfen, u. a. George vs. ISKCON - 1990 - und Children of ISKCON
vs. ISKCON - Kindesmißbrauch - 2000, die sie jedoch beide gewann}. Persönlich empfinde ich über den Niedergang dieser Organisation ein Gemisch aus
Ressentiment, Bedauern und Resignation. Es gab eine Zeit, zu der ich [Nori Muster]
von ganzem Herzen an die Mission und die Ziele von ISKCON glaubte. In der Hoffnung,
daß die Mission Erfolg haben würde, ließ ich es zu, daß ich zum kodependenten
Werkzeug der Anführer wurde. Ich empfinde Abscheu darüber, auf diese Weise benutzt
worden zu sein. Aber was noch wichtiger ist, ich bedaure, daß Prabhupadas Werk,
eine alte Religion in den Westen zu bringen, von einer Sucht erzeugenden Organisation
verdorben wurde, die sich immer noch weigert, den von ihr begangenen Mißbrauch
einzugestehen. Ich habe auch die Möglichkeit akzeptiert, daß es ohne Prabhupada
der Organisation vorherbestimmt ist, zu scheitern. Es ist möglicherweise nur natürlich,
daß ein "suchtkrankes" System seinem charismatischen Anführer in einen
unzeitigen und tragischen Tod nachfolgt. Es ist sogar noch wahrscheinlicher, daß
dieses System zerfällt, wenn jemand dem Anführer ermordet, um dessen Organisation
zu übernehmen. Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen und andere Indizien lassen
die Behauptung zu, daß die Nachfolgegurus Srila {"Seine Heiligkeit"}
Prabhupada vergifteten, um sein Vermächtnis zu übernehmen. Dies ist nie bewiesen
worden, aber es wäre eine Erklärung für die vielen Zusammenbrüche in den Jahren
nach Srila Prabhupadas Tod."
( c ) Nori J. Muster, 1991
( c ) Übersetzung Y. J. 2004. Translated
with permission.
__________________________________________________
Stellungnahme:
"Doch was am Anfang
dir wie Nektar scheint, und dann am Ende Gift ..." (Bhagavad-Gita 18.38)
Anders als Nori Muster glaube ich, daß "suchthaftes" Verhalten im sog.
"Krishna-Bewußtsein" keine Folge einer Fehlinterpretation von Prabhupadas
Lehren ist, sondern bereits in der Grundstruktur angelegt. Ob solches Verhalten
"gewollt" ist, darüber vermag ich nichts zu sagen; doch wenn suchthaftes
Verhalten auftritt, wird es auch nicht gerade mit Ablehnung begrüßt. "Auf
der heiligen Stufe" befindet man sich, wenn man davon "nicht mehr genug
kriegen kann", wenn man vom sog. Krishna-Bewußtsein "trunken" ist.
Wer immer die Bhagavad-Gita verfaßt hat, ein äußerstes Anliegen scheint ihm die
"Gesundung" seiner Leser zu sein. ISKCON ist ein System, das krank machen
kann, aber anders als ein physisches Leiden hinterläßt diese Krankheit keine starken,
fühlbaren Schmerzen, die man deutlich lokalisieren kann.
Auch erfordert, anders als physische Drogen, ISKCON keine "Substanz",
die man sich ständig zuführen müßte, bei der man zumindest durch den Akt des Verabreichens
immer wieder daran erinnert wird, daß man eine Droge nimmt.
Der Buddhismus und die aus dem Hinduismus stammenden Lehren der Bhagavad-Gita
stimmen darin überein, die Ursache allen Leidens sei die Begierde, und trotz der
Unterschiede - das Leiden zum Stillstand zu bringen ist das erklärte Ziel beider
Philosophien. Auch nach den Lehren der ISKCON, basierend auf einem bestimmten
Teilbereich hinduistischer Theologie, besteht der Idealzustand, darin, keine Wünsche
zu haben, zu dem die ISKCON den Gläubigen (angeblich) hinführen will.
Interessenten und Anhänger werden jedoch angefüttert mit Paradieshoffnungen, etwa
Freundschaft, Romantik oder der Sehnsucht nach der glücklichen Kinderzeit. Auch
"fortgeschrittene" Mystiker (sofern denn das System der ISKCON zur Hervorbringung
wirklicher Mystik überhaupt geeignet ist) sind nicht "wunschlos", sondern
versenken sich in die Liebesbeziehung von Radha und Krishna oder etwas anderes
aus diesem reichhaltigen "Universum", das ihnen zusagt.
In dieser Hinsicht ähnelt die krishnaitische Gottesliebe in ihrer Extremform den
Geschichten von Ekstase und Sinnlichkeit etwa katholischer Heiliger. Auch die
Leute, die bei einer ansonsten asketischen Lebensweise Visionen und Stigmata erlitten,
empfanden dabei häufig eine dem normalen Sterblichen schwer zugängliche Seligkeit.
"Transzendentale" Begierde ist letzten Endes ebenfalls Begierde, aber
sie kann für denjenigen, der sie durchlebt, zu einer lebensbeherrschenden Quelle
der Inspiration werden. Alle echten Mystiker waren mit sich im reinen. Werden
die Wünsche und Sehnsüchte suchender Menschen jedoch ausgebeutet für eigennützige
Ziele und Zwecke, so wandelt sich die emotionale Öffnung des Mystikers von einem
Quell der Inspirationen zu einer Quelle des Leids.
"Wer ernsthaft Wahrheit sucht, der findet SIE, wenn
er SIE in sich aufnimmt, in sich selbst."