Sektierertum
Auszug aus der Sri Krsna-samhita
von Srila Bhaktivinod Thakur
von
Premanidhi das - 28.11.2005
Sektierertum
ist ein natürliches Nebenprodukt der Absoluten Wahrheit. Wenn die acharyas
die Wahrheit erkennen und lehren, dann ist sie noch nicht durch Sektierertum verunreinigt.
Die verschiedenen Regeln, die durch die Guru-Schülernachfolge weitergereicht
wurden, beziehen sich auf die Methode und das Ziel, um sich der Wahrheit anzunähern.
Sie werden im Laufe der Zeit entsprechend der Mentalität, des Ortes und der
Umstände der Menschen angepasst. Eine Regel, die von einer Gemeinschaft befolgt
wird, muss nicht notwendigerweise von einer anderen Gemeinschaft akzeptiert werden.
Daher unterscheiden
sich die Praktiken in den Gemeinschaften voneinander. Wenn jedoch eine Gemeinschaft
ihren eigenen Standard als den einzig wahren betrachtet, entwickelt sich aus dieser
Haltung eine Abneigung gegenüber anderen Gemeinschaften und deren Standard
wird als minderwertig betrachtet. Dieses sektiererische Verhalten findet man seit
Jahrtausenden in allen Nationen. Bei vielen Anfängern auf dem spirituellen
Pfad (kanistha-adhikaris) ist diese Haltung zu finden und bis zu einem gewissen
Grad auch bei den madhyama-adhikaris. Bei den reinen Gottgeweihten (uttama-adhikaris)
jedoch findet man nicht eine Spur von Sektierertum.
Jede Gemeinschaft
hat ihre spezielle Form bzw. Standard entwickelt. Dies kann man in drei Formen
unterteilen: alocakagata, alocanagata und alocyagata. Von Alocakagata spricht
man, wenn Neulinge auf dem spirituellen Pfad gewisse äußere Merkmale
als unabdingbar betrachten, wie z.B. Tilak, Neck-beads, Safran-Kleidung und die
Taufe.
Die unterschiedlichen
Aktivitäten, die beim Vorgang der Verehrung praktiziert werden, nennt man
alocanagata. Beispiele für alocanagata sind Opferungen, Entsagungen, Feuer-Opfer,
Gelübde, das Studium der Schrifen, Deity-Verehrung, der Bau von Tempeln,
wie ein Acharya zu handeln, sich wie Brahmacharis, sannyasis oder grhasthas zu
kleiden, seine Augen zu schließen, besondere Büchern zu respektieren,
sowie Regeln hinsichtlich des Essens zu beachten, und die Reinheit besonderer
Zeiten und Orte zu respektieren.
Die Beispiele
von alocyagata bestehen darin, das Höchste als persönlich oder unpersönlich
zu betrachten, Deities zu installieren, über Himmel und Hölle zu philosophieren
und die zukünftige Bestimmung der Seele zu beschreiben.
Die unterschiedlichen
Formen dieser spirituellen Aktivitäten erschaffen weitere Unterteilungen
innerhalb von Gemeinschaften. Unterschiede, die entsprechend Ort, Zeit, Sprache,
Verhalten, Nahrung, Kleidung und dem Wesen verschiedener Gemeinschaften entspringen,
fließen in die spirituellen Praktiken der Menschen mit ein und allmählich
unterscheidet sich die eine Gemeinschaft so rigoros von der anderen, dass es sogar
dazu kommen kann, dass die einen die anderen nicht einmal mehr als menschliche
Wesen betrachten. Aufgrund dieser Unterschiede entstehen Missverständnisse,
der normale soziale Austausch findet nicht mehr statt und es kann zu Auseinandersetzungen
und Kämpfen kommen, die sogar tötlich enden können.
Wenn solch
eine engstirnige Mentalität vorherrscht, werden gewiss solche Dinge geschehen.
Wenn eine weitsichtige Mentalität entwickelt wird, dann löst man sich
von solchen Widersprüchen und Streitigkeiten; vielmehr bemüht man sich,
eine höhere Ebene des Bewusstseins zu erreichen. Madhyama-adhikaris streiten
sich nicht so sehr über äußerliche Standards, doch werden sie
immer von philosophischen Unstimmigkeiten herausgefordert.
Widersprüche
entstehen eigentlich nur aufgrund von Engstirnigkeit. Weitsichtige Menschen beachten
die Notwendigkeit verschiedener Praktiken gemäß der eigenen Natur und
Qualifikation, daher distanzieren sie sich natürlicherweise von sektiererischen
Streitigkeiten. Wir sollten verstehen, dass es bei den kanistha-adhikaris und
madhyama-adhikaris sowohl engstirnige als auch weitsichtige Menschen gibt. Ich
erwarte nicht, dass engstirnige Menschen dieses Buch respektvoll annehmen werden.
Wenn Anfänger
und madhyama-adhikaris verständnisvoll gegenüber den Widersprüchen
werden, die man in verschiedenen Schriften und Praktiken findet, und versuchen
weiter voranzuschreiten, werden sie weitsichtige Persönlichkeiten. Auf diese
Weise werden sie unsere geachteten und liebenswerten Freunde. Obwohl weitsichtige
Personen eine spezielle Praktik seit ihrer Geburt oder Kindheit ausüben,
bleiben sie gelassen gegenüber anderen Praktiken und verhalten sich daher
nicht sektiererisch.
[Dieser Beitrag
wurde am 14.12.2006 - 21:58 von Premanidhi aktualisiert]